Literarische Verelendungstheorien (zwei Buchbesprechungen)

Im Sommer habe ich zwei Bücher vom Nachttisch geräumt, die eine interessante Ähnlichkeit aufweisen, über die ich ein paar Worte verlieren möchte: Sie thematisieren indirekt die etwas aus der Mode gekommene linke „Verelendungstheorie“, also die Annahme, da es eine Wende zum Besseren erst geben könne, wenn die Lebensbedingungen der Menschen unerträglich geworden sind, müsse diese Unerträglichkeit aktiv herbeigeführt werden.

Die beiden Bücher:
„Blackout“ von Marc Elsberg (2012), ein Bestseller, der in mittlerweile sechsstelliger Auflage die Folgen eines Stromausfalls in den Industrienationen als Thriller beschreibt.
„Rotwild“ von Roman Voosen und Kerstin Signe Danielsson (2013), ein Krimi, der wie mittlerweile gefühlt jeder zweite in Deutschland gelesene Kriminalroman in Schweden spielt. Weiterlesen

Griechenland: Geschichte wiederholt sich – die „Vavarokratia“

Endlich einmal sind sich politische Elite und Volkes Stimme in Deutschland wieder einig: Der Grieche kann nicht wirtschaften und braucht Führung von außen. Was bisher auch von kritischen Stimmen kaum einmal erwähnt wurde, ist die historische Parallele – womit hier nicht die Tragödie vom Frühjahr 1941 gemeint ist, als die nationalsozialistische Wehrmacht das Land besetzte und ein grausames Besatzungsregime folgte. Richten wir den Blick etwas weiter zurück: Weiterlesen

Brasilien im Jahr Eins

„Muito obrigado e até a vitória se Deus quiser!“

Mit diesem Satz beendete Brasiliens neuer Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva seinen öffentlichen Auftritt auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre 2003. Und in diesem kurzen Satz wird auch schon das grosse Dilemma der Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) deutlich. Denn Lula ist von vielen sehr verschiedenen Schichten gewählt worden, denen er es jetzt recht machen muss: Sein artiges „vielen Dank“ (muito obrigado) gilt der Schicht junger, fortschrittlicher Kapitalisten. „Bis zum Sieg!“ (até a vitória) ruft er kämpferisch den Linken zu. Und „so Gott will“ (se Deus quiser) schliesslich ist seine Verbeugung vor der brasilianischen Religiösität und vor den wichtigen Bündnispartnern aus dem bürgerlich-evangelikanen Lager um den Vize-Präsidenten Alencar. Weiterlesen

ESF 2002: Weiter, weiter!

Das Europäische Sozialforum in Florenz: Eine erste Bilanz

Das einfachste zuerst, da sich darin nahezu alle einig sind, die über das ESF in Florenz berichten: Das ESF hatte kein Ergebnis, das sich in einer einheitlichen politischen Perspektive, in konkreten Schritten, in Formen der Organisierung oder Institutionalisierung ausdrücken ließe. Was das für die Globalisierungsbewegung, die außerparlamentarischen oder auch die revolutionären Strömungen in Europa bedeutet, wird je nach Blickwinkel aber verschieden beurteilt werden. Weiterlesen

Medien und Ohnmacht

Nicht, daß ich etwas gegen Kassandra-Rufe hätte. Ich rufe selbst gern in den Wald hinein. Vor fünf Jahren wagte ich in einem Text zu „Neuen Medien“ die Prognose, es werde noch zehn bis fünfzehn Jahre dauern, bis diese Medien vollends ihre Funktion im Rahmen von Kapital und Herrschaft erfüllen könnten, von den anarchischen Räumen des Internet und den gepriesenen Chancen direkter Beteiligung werde dann kaum etwas übrig geblieben sein. Damit verbunden war die Erwartung, daß es in den kommenden Jahren stetig bergab gehen werde mit den Möglichkeiten neuer Medien für linke, emanzipative Ideen. Wie schon so oft hat sich die Wirklichkeit als störrischer und widersprüchlicher erwiesen als die Prognose. Das hat vor allem zwei Hintergründe. Weiterlesen

„Day 911“ vs. „Antiglobalisierungbewegung“

Über die Folgen der Attentate vom 11.September

Die Neigung der deutschen Linken, angesichts dramatischer Ereignisse in Bekenntniszwang und Erklärungskonkurrenz zu verfallen, wird durch den 11.September und seine Folgen gnadenlos gefüttert. Ich hoffe, dieser Falle einigermaßen entgehen zu können, und beziehe mich deswegen auch nicht auf die Texte anderer, von denen ich selbstverständlich zahlreiche gelesen habe.

Erwärmung

Es liegt in der Logik der Situation, daß nicht einfach frei von der Leber weg diskutiert wird, sondern der Versuch einer Verständigung über die Basis der Diskussion und der Diskutierenden am Anfang steht. Denn nicht nur das Ereignis selbst, auch seine möglichen Folgen haben sowohl emotional als auch praktisch eine gewaltige Dimension. Insofern kann ich verstehen, daß viele – auch Linke – das Bedürfnis haben, an erster Stelle ihre Gefühle auszudrücken (in den meisten Fällen: Schock und Entsetzen) und gleich danach von anderen einfordern, dasselbe Bekenntnis abzulegen. Weiterlesen