NSU: Heilbronner „Graffiti” – hol’s Stöckchen, Qualitätsjournalismus!

Bild "NSU-Graffiti" Heilbronn

Das Beweisfoto: „NSU-Tag“, ca. 20 cm lang, dicht über dem Boden neben dem Tatort in Heilbronn

Ergänzung 10.06.2024: Am 07.06.2024 berichtet SPIEGEL online, Beate Zschäpe habe dem BKA gegenüber im Herbst 2023 ausgesagt, Uwe Böhnhardt habe ihr gegenüber nach dem Mord von Heilbronn erklärt, den Namen „NSU“ am Tatort „an einer Wand hinterlassen“ zu haben. Wenn das stimmt, würde es natürlich bedeuten, dass nicht die von mir hier kritisierte Medienaufregung ein zusammenfallendes Soufflé gewesen wäre, sondern meine Gegenargumentation. Allerdings: Die Meldung muss nicht allein deshalb stimmen, weil als Quelle Zschäpe angegeben wird. Beate Zschäpe wird zudem die Berichte über das Graffiti auch kennen, offenbart also kein „Täterwissen“. Und auch der SPIEGEL hat schon die eine oder andere Falschmeldung verbreitet. Es empfiehlt sich also, auf weitere Details zu warten.

Am 25. April 2017 beeilte sich der selbsternannte deutsche „Qualitätsjournalismus” der öffentlich-rechtlichen Medien, eine ziemlich absurde Behauptung aus einem dubiosen Dokumentarfilm in die Welt zu posaunen und damit die Latte für die eigene Qualität noch etwas tiefer zu legen:

Ein angebliches „NSU”-Graffiti wurde auf dem Trafo-Häuschen in Heilbronn, neben dem 2007 die Polizisten Michèle Kiesewetter und Martin Arnold niedergeschossen worden waren, entdeckt.

Wollen wir einmal zubilligen, dass die Mörder – wahrscheinlich Böhnhardt und Mundlos – sich die Zeit genommen hätten, am 25. April 2007 nicht nur die Ausrüstung der beiden Opfer einzustecken, sondern sich auch noch neben dem Tatort ganz tief zu bücken und mit Edding ein kleines Signatur-Tag an die Mauer zu kritzeln, wobei sie in der Hektik ihr eigens entworfenes NSU-Logo vergessen hatten. Meiner Ansicht nach absolut lebensfern, aber sei’s drum.

Wieso es ein Skandal sein soll, dass die Polizei dieses Graffiti „übersah”, ist vollkommen unerklärlich. Das Trafo-Häuschen war ringsum übersäht mit Graffiti, wie durch zahlreiche Fotos vom April 2007 belegt ist. Die Polizei hatte keinen direkten Anlass, sich diese Graffitis genauer anzusehen. Und selbst wenn – woher hätten die Beamten im Jahr 2007 wohl das Kürzel „NSU” kennen sollen? Der Skandal fällt hier also zum Leidwesen von „Frontal 21” aus.

"NSU-Graffiti", bearbeitet

Die sichtbaren Bestandteile des Tags nachgezeichnet (vgl. oberes Foto). Links oben ist die Sprühfarbe des großen gesprühten Tags zu erkennen.

Aber etwas anderes ist viel wichtiger: Es handelt sich nämlich erkennbar überhaupt nicht um eine Signatur „NSU”. Der Signatur-Tag ist deutlich größer, die sichtbaren Buchstaben sind eher als „NSUN” zu lesen. In dem nebenstehenden Foto habe ich die offensichtlich zusammen gehörenden Teile des Tags, soweit auf dem Foto sichtbar, in rot nachgezeichnet. Der obere Teil des Tags ist überdeckt durch einen größeren gesprühten Tag der lokalen Crew „MOS”, dessen Farbe am oberen linken Bildrand schwach zu erkennen ist.

Trafohäuschen am NSU-Tatort Heilbronn

Das Trafohäuschen im April 2007 mit dem großen Tag „MOS YOW“. Das vermeintliche „NSU“-Graffiti befindet sich dicht über dem Boden unter dem „O“ von „YOW“ (also hinter dem rechten Blumengebinde).

Der Signatur-Tag muss also deutlich vor dem 25. April angebracht worden sein, so dass der „MOS” (bzw. „MOS YOW”) Tag darüber gesprüht werden und trocknen konnte.

Damit ist die Geschichte in sich zusammengefallen wie ein Soufflé. Guten Appetit!