Der folgende Text wurde auch bei nsu-watch veröffentlicht (Teil 1 | Teil 2).
Aktuell geht in Kreisen der NSU-Aufklärungsszene aufs Neue das Gespenst der plötzlichen Zeugentode um. Nach dem Tod einer Frau aus der Blood&Honour-Szene, die im Februar 2017 vor den Untersuchungsausschuss Baden-Württemberg geladen werden sollte, ist in etlichen Veröffentlichungen die Rede von bisher sechs Todesfällen von ZeugInnen im NSU-Komplex, die rätselhaft oder verdächtig seien. Eigentlich hätte mit der weitgehenden Aufklärung des Todesfalls Florian He. spätestens im Frühjahr 2015 die Luft raus sein sollen aus dieser Geschichte – doch Unkraut vergeht nicht, und wenn selbst erfahrene Genossen der von mir geschätzten Zeitschrift „analyse & kritik” Anfang 2016 mich plötzlich erneut nach „mysteriösen Zeugentoden” fragen, muss ich wohl noch mal ran an das Thema.
Die Story von den plötzlich ums Leben gekommenen Zeugen darf in keinem guten Thriller fehlen, und im Falle des Polizistenmordes von Heilbronn scheint sie auf den ersten Blick wirklich begründet zu sein, denn fünf der sechs hier behandelten verdächtigen Todesfälle trugen sich in Nordbaden zu. Und da die meisten Zeitungen, Fernsehsender oder Internet-Blogs nicht viel mehr als diesen „ersten Blick” werfen, bevor sie ihre Meinung verkünden, muss jetzt wieder einmal allerlei an Gerede, Mutmaßung und Behauptung aus dem Weg geräumt werden, um einen zweiten und dritten Blick möglich zu machen. Und wie immer geht das leider auch hier nicht im Twitter-Format.
Wer meine Veröffentlichungen kennt, weiß, dass jetzt ein längerer Text folgt. Für alle, die ungeduldig sind und mein Fazit gerne schon vorher kennen wollen, sei hier gesagt: Ich habe bei den fünf Todesfällen im Bereich Heilbronn nichts gefunden, was alarmierend gewesen wäre oder die offizielle Darstellung ernsthaft in Frage hätte stellen können. Es handelt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um drei Selbstmorde und einen Tod durch Unfallfolgen sowie einen erst kürzlichen und daher nicht gründlich untersuchbaren Krankheitstod. Es gibt kein mysteriöses „Zeugensterben”, und die vor allem im Internet kursierenden Meldungen dazu sind, wie es heutzutage so schön heißt, „fake news”.
Todesfall Nr. 6: Thomas Richter „Corelli“
Der sechste auffällige Todesfall soll hier nur kurz angesprochen werden: Es ist der plötzliche Tod von Thomas Richter (V-Mann „Corelli” des BfV) an unerkannter Diabetes Anfang April 2014. Richter war, im Gegensatz zu den fünf anderen Verstorbenen, zweifellos ein wichtiger Zeuge, und die Frage, ob er nicht noch so einiges interessante zu berichten gehabt hätte, ist durchaus berechtigt – wobei das auch nicht unbedingt mit dem NSU zu tun haben müsste. Als Honigtopf für Freunde des Verschwörerischen sei hier nur kurz die Frage aufgeworfen, wieso das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) seinen Top-V-Mann Ende der 1990er Jahre drängte, sich in die, soweit bekannt, ziemlich unbedeutenden und eigentlich lachhaften Versuche einer Gründung deutscher Ku-Klux-Klan-Gruppen einzuklinken. Lag dem ein defensiver Ansatz zugrunde, in dem Sinne, dass das BfV bei der Gründung „geheimnisvoller” Gruppen und konspirativer Netzwerke von Anfang an einen Zugang gesucht hat, auch ohne schon zu wissen, ob daraus etwas Ernstzunehmendes entstand – oder dachte man langfristiger und wollte Thomas Richter etwa an international agierende Nazi-Strukturen mit Sitz in den USA heranspielen? Der Oklahoma-Bombenanschlag von 1995, die Verbreitung der „Turner-Tagebücher” in der deutschen rechten Szene und die Analysen des BfV ab Ende der 1990er Jahre, wonach rechte Terrorzellen in Deutschland möglich seien, scheint zumindest als Begründung für eine Beobachtung von KKK-Gruppen in Deutschland mindestens so überzeugend wie die halboffizielle Erklärung, das BfV sei durch den Mordversuch von Rechtsradikalen 1992 in Brandenburg, bei dem ein gewisser KKK-Bezug bestand, sensibilisiert gewesen.
Wie dem auch sei, Richters plötzlicher Tod kurz vor einer Vernehmung wirkt zugegebenermaßen wie bestellt. Ob er noch die „wirklichen” Geheimnisse in petto hatte, nachdem er über die Jahre schon so viel zu Protokoll gegeben hatte, ist aber reine Spekulation.
Im Fall Thomas Richter ist immerhin zu berücksichtigen, dass das große öffentliche Interesse an seiner Todesursache 2014 zu einer gründlichen, wenn auch nicht erschöpfenden Untersuchung führte; der Leiter dieser Untersuchung, der Rechtsanwalt und frühere Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag, ist meines Erachtens über den Verdacht der Vertuschung erhaben. Die Ermittlungen zur Todesursache Richters wurden zudem im Juni 2016 neu aufgenommen, und das Auftauchen weiterer Mobiltelefondaten Richters beim BfV zeigt, dass die Untersuchung durch Montag nicht das letzte Wort in dieser Angelegenheit gewesen sein kann. Zuletzt kamen die Todesermittlungen im Dezember 2016 zu dem Ergebnis, dass die Todesursache „unerkannte natürliche Diabetes Typ I” zu bestätigen sei.
Fünf Tote in Nordbaden
Die fünf Todesfälle im Raum Stuttgart-Heilbronn in den Jahren 2009 bis 2017 fallen besonders auf, weil sie fast ausnahmslos junge Personen trafen und weil in drei Fällen Selbstmord als Todesursache vermutet wird. Das nährt den verbreiteten Verdacht, der Mordanschlag auf die beiden Polizeibeamten in Heilbronn am 25. April 2007 sei keine „normale” NSU-Tat und vielleicht von ganz anderen Personen (mit-)begangen worden, die bis heute unerkannt seien und die nun gefährliche Zeugen beseitigten. Es ist hier insbesondere wichtig, sich die ersten beiden Fälle anzusehen, weil diese beiden grausamen Tode (Arthur Ch. 2009 und Florian He. 2013 verbrannten jeweils in ihren Autos) die eigentlichen Schlüsselfälle sind und die einzigen, bei denen es wenigstens spekulative Verbindungen zum Mordfall Heilbronn bzw. zum NSU gibt. Zwei weitere Todesfälle (Melisa Ma. 2015, Sascha Wi. 2016) beziehen ihre Bedeutung nur aus der Verknüpfung mit Florian He., beim letzten Todesfall (Corinna B. 2017) besteht soweit bekannt keinerlei personelle Beziehung zu den vorhergehenden, er wäre also nur dann verdächtig, wenn er sich mit den anderen in eine auffällige Häufung insgesamt einreihen ließe.
Zur Beurteilung der Todesfälle Arthur Ch. und Florian He. ist es unumgänglich, sich mit dem Bericht des ersten Parlamentarischen „Untersuchungsausschuss Rechtsterrorismus/NSU Baden-Württemberg” (im folgenden: PUA) zu beschäftigen. Der PUA arbeitete von Januar 2015 bis Januar 2016, sein Bericht wurde am 28. April 2016 veröffentlicht. Auch die Wortprotokolle der öffentlichen Sitzungen sind im Internet zu finden. Da der PUA letztlich jede der gängigen Verschwörungsgeschichten zum Mordfall Heilbronn zurückgewiesen hat, wird sein Bericht in der entsprechenden Fangemeinde selbstverständlich als weiteres Vertuschungsmanöver betrachtet. Wer sich aber die Mühe macht, die 1660 Seiten des Berichts durchzuarbeiten und sich auch mit den Wortprotokollen zu beschäftigen, wird Schwierigkeiten haben, die gängigen Horrorstorys weiterhin zu vertreten, denn zu viele öffentlich kursierende Behauptungen wurden objektiv widerlegt und lassen sich nicht einfach durch neue wilde Behauptungen ersetzen.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass im Ausschuss manche Fragen nicht beantwortet, manche Themen nicht abschließend besprochen wurden und die Ausschussmitglieder bisweilen schlecht vorbereitet und nicht ganz „im Stoff stehend” wirkten. Eine m. E. zutreffende Beurteilung der Arbeit des PUA findet sich bei NSU-Watch Baden-Württemberg. Nach der Landtagswahl wurde ein neuer PUA eingesetzt, der die Arbeit des ersten Ausschusses aktuell fortsetzt.
Schwächen des Untersuchungsausschusses
Der PUA hat sich insbesondere bei der Spekulation über möglichen Ablauf und Motivhintergrund beim Mordanschlag in Heilbronn 2007 auf dünnes Eis begeben und meiner Ansicht nach zu schnell „nach Aktenlage” Hypothesen entwickelt und wieder beiseite gelegt. Es ist zu fragen, ob das überhaupt seine Aufgabe war, und wenn ja, ob die beteiligten PolitikerInnen wirklich die Qualifikation haben, Vorgänge, Dynamiken und psychologische Hintergründe eines klandestinen rechtsradikalen Zelle zu beurteilen. Hierzu haben die befragten „Sachverständigen” leider wenig erhellendes beizutragen gehabt – wobei diese ZeugInnen ohnehin ein Thema für sich sind, denn die Qualitätsunterschiede in den sachverständigen Vorträgen und Einlassungen waren erheblich.
Gerade diejenigen, die in der öffentlichen Debatte seit Jahren wortmächtig „Skandal” schreien und düstere Machenschaften vermuten (etwa Moser, Nübel, Schorlau), haben vor dem PUA zumeist ziemlich substanzlose Beiträge abgeliefert. Wenn ihre allgemeinen Verdachtsdarbietungen genauer hinterfragt wurden, taten sie oft genau das, was sie den staatlichen Ermittlern ständig vorwerfen: Das Erinnerungsvermögen ließ nach, es wurde sich auf fehlende Aussageerlaubnis und Quellenschutz zurückgezogen, falsche Angaben mussten kleinlaut korrigiert werden. Tiefpunkt war das nicht aufgeklärte Verschwinden von Beweismitteln, die von einem der kritischen Sachverständigen an angebliche Experten zur Untersuchung übergeben worden waren und die sich dann irgendwie in Luft aufgelöst hatten… Damit wurde der Aufklärung in Sachen NSU nun wahrlich kein Gefallen getan.
Doch all das steht hier gerade nicht zur Debatte. Zu fragen ist, ob die Todesfälle Arthur Ch. und Florian He. vom Ausschuss in nachvollziehbarer Weise behandelt und beurteilt worden sind. Und das ist der Fall. Es ist klar, dass hier jetzt nicht alles nacherzählt werden kann, was auf hunderten Seiten im Abschlussbericht zu lesen steht. Ich muss mich deshalb darauf beschränken, einen groben Überblick zu geben und einige Aspekte zu ergänzen, die im Bericht des PUA teils nicht oder nur andeutungsweise thematisiert werden. Ich habe vor allem versucht, das Schicksal der zentralen Person in diesem kleinen Drama innerhalb des großen NSU-Dramas, Florian He., einigermaßen plausibel nachzuzeichnen.
Erster Todesfall: Arthur Ch., geb. 26. Juni 1990, gest. 25. Januar 2009
Der Verdacht: Ch. habe sich am 25. April 2007 kurz vor dem Mord am Tatort aufgehalten und sei deshalb 2009 als gefährlicher potenzieller Zeuge ermordet worden.
Das Ganze basiert auf zwei voneinander unabhängigen „Indizien”: Erstens soll eines der zahlreichen Phantombilder, die in Sachen Heilbronn von der Polizei angefertigt wurden, Ch. ähneln; zweitens gibt es eine Aussage von 2009, wonach der russischstämmige Ch. in Geschäfte der russischen Drogenmafia verstrickt gewesen sei, die den Mordanschlag in Heilbronn begangen habe und ihn als Tatzeugen beseitigt habe.
Beide „Indizien” sind aber substanzlos. Die Ähnlichkeit mit dem Phantombild ist nicht besonders augenfällig. Die Drogengeschichte ist ein weitgehend zusammengesponnenes Märchen eines Inhaftierten. Selbst wenn Ch. ermordet worden sein sollte – was unwahrscheinlich ist, aber nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen ist –, kann kein Zusammenhang mit dem Mordanschlag in Heilbronn 2007 hergestellt werden.
Januar 2009: Der Tod von Arthur Ch.
Arthur Ch. verbrannte am 25. Januar 2009 nachts um 02:00 Uhr neben seinem Pkw auf einem Waldparkplatz nicht weit von Heilbronn. Es wurden Reste von Brandbeschleuniger gefunden, die Polizei Ludwigsburg setzte eine Ermittlungsgruppe „EG Eiche” ein, um die Todesumstände aufzuklären. Da lange Zeit unklar blieb, ob es sich um Mord oder Selbstmord handelte, wurde sehr umfangreich ermittelt. Hier liegt auch ein wichtiger Unterschied zum Todesfall Florian He. vier Jahre später: Wenn die Polizei von Anfang an von einem Selbstmord ausgeht, wird lediglich ein „Todesermittlungsverfahren” geführt, bei dem viel weniger Aufwand betrieben wird (und auch rechtlich weniger erlaubt ist) als bei einem Strafermittlungsverfahren etwa wegen Verdachts auf Mord.
Einiges im Verhalten von Ch. am Abend seines Todes spricht indes für einen Selbstmord, und aus den Ermittlungen der EG Eiche lässt sich als mögliches Motiv für den Suizid eine Selbstbestrafung wegen homosexueller Neigungen und Minderwertigkeitsgefühlen inmitten einer sehr konservativen familiären Umgebung herauslesen. Hinweise auf eine Beteiligung von Dritten wurden dagegen nicht gefunden, insbesondere auch kein Kontakt von Ch. ins kriminelle Milieu.
Die Sonderkommission „SoKo Parkplatz”, die zum Mordanschlag in Heilbronn ermittelte, wurde schon nach kurzer Zeit, im März 2009, auf den Todesfall Ch. aufmerksam, weil der Tote aus dem deutsch-russischen Milieu kam, in das damals wichtige Spuren für die SoKo zu führen schienen. Es hatte zwischen 2007 und 2009 mehrere verschiedene Zeugenaussagen zu verdächtigen, russisch wirkenden oder sprechenden Personen rund um Tat und Tatort gegeben. Die SoKo hatte 2009 verschiedene Tathypothesen, die in Richtung krimineller Szene gingen, und hielt Mord – oder auch Selbstmord – bei Tatbeteiligten oder -zeugen für gut vorstellbar.
März 2009: Die „SoKo Parkplatz“ wird aufmerksam
Erster Anfasser war ein Foto von Ch., das am 20. März 2009 bei der SoKo einging und nach Ansicht zweier ermittelnder Oberkommissare „eine verblüffende Ähnlichkeit” aufwies mit einem Phantombild vom 25. April 2007. Damals hatte die Zeugin E. um 12:30 Uhr, also etwa 1 ½ Stunden vor dem Mord auf der Theresienwiese, einen Mann am späteren Tatort stehen sehen. Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Bildern besteht in der Tat, wenn auch keine „verblüffende”. Die Zeugin E. hatte von einem 30-35jährigen Mann gesprochen, während Ch. damals gerade mal knapp 17 Jahre alt war, doch Ch. sah älter aus als er war, und die Person auf dem angefertigten Phantombild wirkte eher jünger als 30 Jahre. Die Zeugin E. hatte den Mann als „dunkelblond” beschrieben, während Ch. schwarze Haare hatte, auch Mund- und Kinnpartei und Augenbrauen sehen auf den zweiten Blick schon längst nicht mehr so ähnlich aus, und „mager” – wie von der Zeugin beschrieben – wirkt Ch. auf dem verfügbaren Foto, dass die EG Eiche veröffentlichen ließ, nicht. Arthur Ch. war zudem mit 1,58 m auffällig klein, die Zeugin sprach aber von einem 1,75-1,80 m großen Mann. Und sie hatte ihn aus einer Entfernung von ca. 30 m gesehen, was insbesondere die Genauigkeit von Gesichtsbeschreibungen sehr in Frage stellt. Der Zeugin wurden später Fotos von Ch. vorgelegt, auf denen sie ihn nicht wiedererkannte. Wenn jetzt noch berücksichtigt wird, dass ein Phantombild kein Foto ist, sondern nur eine ungefähre Annäherung – was in den Veröffentlichungen zum Thema stets übersehen wird –, kann wohl gesagt werden, dass die angebliche Ähnlichkeit zwischen Ch. und dem Bild keine Relevanz hat.
Doch nachdem sich seit Anfang März 2009 das Ermittlungsdesaster um die falschen DNA-Spuren im Mordfall Heilbronn abzeichnete (und Anfang April zur Gewissheit wurde), war die ermittelnde SoKo für jeden anderen Fahndungsansatz dankbar. Auch wenn der von der Zeugin beschriebene Mann nichts weiter getan hatte als einige Zeit vor dem Mord kurze Zeit allein an dem Trafohäuschen zu stehen, ohne sich besonders auffällig zu benehmen, war zumindest ein Verdacht geweckt bei der Polizei. Ob Ch. ein Alibi für die fragliche Zeit hatte, wurde jedoch offenbar nicht überprüft. Jedenfalls war bei einer späteren polizei-internen Auswertung dieser Spur im Herbst 2011 eine solche Alibiüberprüfung auch für die Ermittler nicht feststellbar. Ch. besuchte die Wilhelm-Maybach-Schule, die etwa 30 Minuten Fußweg von der Theresienwiese entfernt liegt, und hätte am 25.April 2007 um 12:30 Uhr eigentlich dort Unterricht gehabt.
Eine Woche nach der Aufnahme der Spur Ch., am 30. März 2009, spekulierten die beiden zuständigen Oberkommissare in einem hypothetischen Szenario, welches die verschiedenen Zeugenaussagen zu russisch wirkenden Männern zusammenfasste, Ch. könne möglicherweise „Mitwisser, Schmieresteher” gewesen sein, was sowohl für Mord als auch für Suizid ein Motiv ergeben könne. In den Datenbeständen der EG Eiche und der SoKo Parkplatz hätten sich „11 sogenannte Kreuztreffer” ergeben, die „im Einzelnen noch verifiziert und im Detail bewertet werden müssen”, überwiegend jedoch „Deutschrussen” betrafen. Welche Personen es genau waren, die sowohl im Umfeld von Ch. als auch bei der SoKo Parkplatz registriert wurden, ist nicht klar. Ihre Fotos wurden mehreren Zeugen vorgelegt, die Hinweise auf russisch wirkende Personen gegeben hatten, diese konnten aber niemanden wiedererkennen.
Der Versuch, Arthur Ch. irgendwie verdächtig zu machen…
Doch schon eine weitere Woche später, am 6. April 2009, stand für die SoKo fest: Ch. habe „offensichtlich zu Personen Kontakt, die sich nachweislich am Tatort auf der Theresienwiese aufgehalten haben.” Diese Behauptung wird in den mir bekannten Akten zum Mordfall Heilbronn an keiner Stelle belegt oder erläutert, kann sich aber eigentlich nur auf die erwähnten „11 Kreuztreffer” stützen. Weitere Ermittlungen dazu sind nicht dokumentiert. Wer diese mutmaßlich elf Personen sind, wann wer von ihnen am Tatort gewesen sein soll und in welcher Beziehung sie möglicherweise zu Ch. standen, bleibt somit spekulativ. Eine solche Spekulation könnte sein, dass der aus Kasachstan stammende Vater von Arthur Ch. Inhaber einer Autowerkstatt war und deshalb ein Kontakt zu anderen aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden Aussiedlern, die vielleicht ins Visier der SoKo geraten waren, vorstellbar erscheint.
Es erfolgte daraufhin ein (negativ verlaufener) Abgleich von Ch.s Fingerabdrücken mit dem Asservat „SO.11.1”, einem silbernen Feuerzeug, das an einer Stelle gefunden worden war, an der ein Zeuge am Tattag gegen 11:30 Uhr drei verdächtige mutmaßliche Russen neben einem Auto sitzend gesehen hatte (wobei völlig ungewiss ist, ob das Feuerzeug von denen stammte)(„Spur 253”). In dem Vermerk vom 6. April 2009 wird die Uhrzeit der Beobachtung übrigens falsch als „10.30 Uhr” angegeben. Diese Spur war an sich nicht aufsehenerregend, schien aber gut zusammen zu passen mit der wichtigen „Spur 22” bezüglich eines Mannes, der am Mittag des 25. April 2007 nicht weit vom Tatort mit blutverschmiertem Arm in ein Auto gesprungen sein sollte, welches dem aus der „Spur 253” auffallend ähnelte, wobei der Fahrer „dawei, dawei” (russisch: Schnell, schnell) gerufen habe. Demnach hätten sich die mutmaßlichen Täter längere Zeit erst nördlich, dann südlich der Theresienwiese aufgehalten.
…mithilfe von Spur 22 („dawei, dawei!“)…
Hinweisgeber bei „Spur 22” war eine Vertrauensperson der Polizei Heilbronn, die „VP 1749”, offenbar im Drogenmilieu aktiv. Dieser sagte zunächst, der Vorfall sei um 13:40 Uhr gewesen (also vor dem Mord), verbesserte sich aber später auf 14:30 Uhr. Diese Zeitkorrektur ist eigenartig, denn in seiner ersten Aussage noch am Abend des 25. April 2007 hatte die VP 1749 genau beschrieben, dass er um „kurz nach 13.30 Uhr” zu Fuß in der Sontheimer Straße unterwegs gewesen sei, dort den Vorfall beobachtet und „unmittelbar nach dieser Beobachtung” auf seine Handy-Uhr gesehen habe, die 13:40 Uhr gezeigt habe. Erst als die vernehmenden Polizisten, die mit einer solchen Spur nichts anfangen konnten (Blutspritzer schon vor dem Mord!?), am Folgetag dem Zeugen einen Zahlendreher geradezu aufdrängten, präsentierte er eine Version der Zeitabläufe, die zu der Uhrzeit 14:30 Uhr passte: Er sei vom Ort der Beobachtung zur Wohnung einer Bekannten gegangen, wo er um 15:15 Uhr erneut auf die Uhr gesehen habe. Ein Abschreiten der Strecke ergab ca. 40 Minuten, so dass die Uhrzeit 14:30 Uhr passend erschien.
Allerdings hatte VP 1749 anfangs gesagt, er sei „schnell gegangen und teilweise auch gerannt”, was bei der Zeitmessung offenbar gar nicht berücksichtigt wurde, denn dann hätte er die Gesamtstrecke von 3 km deutlich schneller zurücklegen müssen und wäre wohl eher um etwa 14:45-14:50 am Ort seiner Beobachtung gewesen und somit erstens ein Zahlendreher beim Blick auf die Uhr nicht mehr möglich gewesen und zweitens die zeitliche Einpassung der ganzen Geschichte in das Tatgeschehen und die anderen Zeugenaussagen weggebrochen. Aber solche Feinheiten fielen bei der Vernehmung unter den Tisch. Die Kriminalpolizei Heilbronn hielt VP 1749 grundsätzlich für einen verlässlichen Informanten, und sie wollte sich wohl auch den „blutverschmierten Russen” nicht nehmen lassen, der eine ihrer heißesten Spuren war.
Ein ausführlicher Vermerk der SoKo Parkplatz vom 10. Mai 2010 listet einige Ungereimtheiten und Ermittlungsfehler bei den Befragungen des Zeugen auf und regte „eine kritische Betrachtung des Eingangshinweises” an. Ob die detaillierte Beschreibung von VP 1749 nun einen wahren Kern hatte oder aus Gewinninteresse frei erfunden war – die von den vernehmenden Beamten dem Zeugen in den Mund gelegte „richtige” Uhrzeit lässt ihren Wert höchst zweifelhaft erscheinen, was auch dem leitenden Staatsanwalt seinerzeit nicht entging.
…und „Spur 43“ (Drogenhandel)
Wie dem auch sei, im Frühjahr 2009 war die Spur „russisches bzw. russischstämmiges kriminelles Milieu” noch oder wieder vielversprechend, und Arthur Ch. schien dort irgendwie und vielleicht hineinzupassen. Während die Spuren 22 und 253 zwar in eine Tathypothese einzubauen waren, aber ansonsten im Sande verliefen, weil weder die Personen noch das Auto dingfest zu machen waren, gab es eine weitere Spur, in der mutmaßlich kriminelle Russlanddeutsche zu identifizieren waren: Die „Spur 43”, für sich betrachtet ohne erkennbaren Zusammenhang zum Mordanschlag, aber im Rahmen einer Gesamthypothese „Rauschgiftdeal der Russenmafia am 25. April 2007 auf der Theresienwiese mit Vorbereitungshandlungen” zu gebrauchen.
Eine Imbissverkäuferin am Media-Markt, etwa 1 km Luftlinie entfernt von der Theresienwiese, hatte einen Tag vor der Tat ein Fahrzeug mit vier Insassen notiert, deren Verhalten ihr verdächtig vorkam. Diese vier Personen wurden identifiziert und von der Polizei bereits Anfang Mai 2007 befragt. Es handelte sich dabei um Johann „Iwan” Vo., Alexander We. und zwei andere, die von der Polizei der Drogenhändler-Szene zugerechnet wurden und die es im Frühjahr 2007, als die Mordermittler ihnen auf den Pelz rückten, auffällig eilig hatten, mit erklärenden harmlosen Geschichten jeden Verdacht von sich abzulenken. Sie wurden in der Folgezeit umfangreich überwacht und landeten schließlich überwiegend im Knast wegen Drogengeschichten, irgendein Bezug zum Mord auf der Theresienwiese fiel dabei aber nicht auf.
Wenn der im Vermerk genannte vermeintliche Kontakt des Arthur Ch. zu Personen, „die sich nachweislich am Tatort auf der Theresienwiese aufgehalten haben” gleichbedeutend sein sollte mit einem Kontakt zu dem Personenkreis um Johann Vo., so wäre das einer der typischen Ermittlungsfehler der Polizei, wo aus verschiedenen ungenauen Vermerken ein falsches Ergebnis extrahiert und weitergereicht wird – eine allzu häufige Schlamperei bei Ermittlungen, an denen mehr als nur ein paar Beamte beteiligt sind. Denn Johann Vo. und Kumpels hielten sich ja nachweislich lediglich einen Tag vor der Tat im weiteren Umkreis des Tatorts auf.
Herbst 2009: Die Geschichten des Alexander Zw.
Nach langer Vorrede kommen wir jetzt erst zu dem zweiten sogenannten „Indiz” für eine Verwicklung von Arthur Ch. in den Mordfall Heilbronn: Die Tathypothese „russische Drogenmafia” bekam im Herbst 2009 neue Nahrung durch die Aussagen eines Inhaftierten, dem durch die Staatsanwaltschaft Heilbronn Vertraulichkeit zugesichert wurde. Es handelte sich dabei um Alexander Zw. aus Öhringen, einen 21jährigen russischstämmigen Spätaussiedler, der im August 2006 in Heilbronn zu lebenslänglicher Haftstrafe wegen der grausamen Ermordung einer Prostituierten verurteilt worden war.
Als „Spur 3740” ging seine Geschichte in die Akten ein und wurde von ihm über längere Zeit immer wieder ausgeschmückt mit dem Ziel einer vorzeitigen Haftentlassung, die aber von den Behörden abgelehnt wurde – nicht zuletzt, weil Zw. als „eiskalt” und berechnend eingeschätzt wurde und er sich im Laufe der Zeit in zahlreiche Widersprüche verwickelte, obwohl die Ermittler ihm prinzipiell „glaubwürdige Einlassungen” bescheinigten. Immerhin hielt er die Polizei von Oktober 2009 bis März 2010 mit seiner Story auf Trab, die sich im Kern darum drehte, dass die bereits erwähnte Gruppe um Johann „Iwan” Vo. („Spur 43”) einen großen Drogendeal abgewickelt habe, bei dem es Pannen gegeben habe und die beiden Polizeibeamten auf der Theresienwiese zufällig hineingeraten und daher erschossen worden seien.
2011: Letzter Versuch, Arthur Ch. hineinzuziehen
Im Frühjahr 2011 versuchte Zw. noch einmal, mit seiner Geschichte bei der Polizei zu landen, und brachte dabei schließlich am 28. Juli 2011 auch Arthur Ch. ins Spiel. Dieser, angeblich bekannt als „der Depp mit der Käpp” wegen seiner Hiphop-Klamotten, sei zufälliger Zeuge des Mordes geworden und daher beseitigt worden. Warum Ch. vor Ort gewesen sei und in welcher Beziehung er zu der Bande um Johann Vo. gestanden haben soll, sagte Zw. nicht. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass Alexander Zw. innerhalb der Knasthierarchie insbesondere des russischstämmigen Milieus als hoch angesiedelt eingeschätzt wurde und offenbar viele Informationszugänge hatte – mutmaßlich auch zu der Gruppe um Johann Vo., von denen einige im selben Knast einsaßen –, also vermutlich gut auf dem Laufenden war, was ihm bei der Konstruktion seiner an Details und Namen reichen Geschichte half. Ob er den Namen Arthur Ch. aus eigenem Antrieb ins Spiel brachte, etwa weil er sich von der Aufklärung eines weiteren Mordfalls zusätzliche Pluspunkte erhoffte, oder ob er von der Polizei konkret danach gefragt wurde, ist den Akten nicht zu entnehmen.
Die Aussage von Alexander Zw. könnte in Bezug auf real irgendwann und irgendwo stattgefundene Drogengeschäfte in Heilbronn zwar durchaus Substanz haben. In der Geschichte von Zw. kamen aber keine Rechtsradikalen vor, weder der NSU noch die Personen Mundlos und Böhnhardt wurden erwähnt. Dass wenige Monate später das Raubgut aus dem Heilbronner Mord bei den beiden Nazis aufgefunden wurde und der NSU in seinem Videofilm den Anschlag für sich reklamierte, entzog der ohnehin schon windigen und an etlichen Stellen in sich widersprüchlichen Geschichte des Zw. vollends den Boden. Alexander Zw. hatte, auf knastdeutsch gesagt, „eine Lampe gebaut”, sprich, ein Märchen auf Kosten anderer erzählt, um Hafterleichterungen oder vorzeitige Entlassung zu erreichen – ein beileibe nicht seltener Vorgang, wie geplagte Kriminalkommissare bestätigen können.
Es bleibt festzuhalten: Die Geschichte von Alexander Zw. über den Mordanschlag auf der Theresienwiese inklusive der Verwicklung von Arthur Ch. ist erfunden. Die bloße Ähnlichkeit mit dem Phantombild einer Person, die in der Nähe des Tatortes einige Zeit vor der Tat gesehen wurde, ist das einzige Indiz, das bei näherer Betrachtung vom Verdachtsfall Arthur Ch. übrigbleibt.
„Nimmt man die zur Phantombildproblematik geführte umfassende, sich stets wiederholende und besonders kritische Diskussion in den Medien und im Deutschen Bundestag zur Kenntnis, so gewinnt man den Eindruck, dass den dortigen Vertretern Fragen der Beweiswürdigung und Aussagepsychologie offenbar völlig fremd sind. Es wird schlicht nicht zur Kenntnis genommen, dass der Zeuge aus vielerlei Gründen das schlechteste aller möglichen Beweismittel ist.” (Erster Staatsanwalt Christoph Meyer-Manoras, 25. Sitzung, 24.7.2015 – Der Mann hat recht!)
Für weitere Details siehe Abschlussbericht PUA-BW, Seiten 342, 408, 533-541, 888.
Zweiter Todesfall: Florian He., geb. 1992, gest. 16. September 2013
Der Verdacht: Florian He. hatte im Sommer 2011 gegenüber Zeuginnen behauptet, er wisse, wer den Mordanschlag auf der Theresienwiese 2007 begangen habe. Zudem hatte er spätestens in einer polizeilichen Vernehmung Anfang 2012 ausgesagt, es gebe eine dem NSU ähnliche geheime Gruppe „Neoschutzstaffel” (NSS) und beide Gruppen hätten sich 2010 getroffen. Am 16. September 2013 sollte er von der „EG Umfeld” des LKA Baden-Württemberg noch einmal zu dieser Gruppe NSS vernommen werden, am selben Morgen kam er ums Leben. Er könnte also umgebracht worden sein, um zu verhindern, dass er sein Wissen der Polizei mitteilt.
Der Fall ist schwer zusammenzufassen, weil er mit verschiedenen anderen Vorgängen rund um die NSU-Aufklärung im „Ländle” zusammenhängt.
Zusammenfassung: Die Debatte im Herbst 2013
Florian He. war 2013 eigentlich kein aktiver Rechter mehr, er wollte schon seit längerem weg von dieser Szene und fühlte sich möglicherweise bedroht deswegen. Die mögliche Existenz einer geheimen und gefährlichen Gruppe namens NSS schien von außen betrachtet ein Bedrohungsszenario durchaus realistisch zu machen.
Die Ermittlungen der Polizei nach seinem Tod gingen auffällig schnell in Richtung Suizid, d. h., es wurde lediglich ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet, das als solches zwar relativ aufwändig betrieben wurde, aber doch sehr viel weniger umfangreich war als im Falle von Arthur Ch., bei dem längere Zeit mit dem Verdacht auf ein Verbrechen ermittelt worden war; zudem zeigten sich schnell einige offensichtliche Ermittlungsfehler, die umso schwerer wogen, als den Ermittlern sehr wohl bekannt war, dass sie es hier mit einem politisch brisanten Fall zu tun hatten. Die Verantwortung für diese Fehler konnte der PUA auch deshalb nicht aufklären, weil einige beteiligte Polizisten ein Aussageverweigerungsrecht aufgrund mittlerweile gegen sie eingeleiteter Disziplinarverfahren in dieser Sache hatten. Es ließe sich hier die Frage stellen, ob die Betreffenden durch ein solches Verfahren von der fürsorglichen Behördenleitung aktuell aus der Schusslinie genommen wurden, um das entsprechende interne Verfahren dann irgendwann im Sande verlaufen zu lassen, wie es ja im Fall der beiden Ku-Klux-Klan-Polizisten der BFE Böblingen nach 2001 auch schon ähnlich gelaufen ist.
Der Verdacht, es handle sich um einen Mord, der als Selbstmord getarnt sei, und die Polizei sei entweder unfähig, das zu erkennen, oder betreibe aktive Vertuschung, wurde von Anfang an vor allem von Familienangehörigen von Florian He. gehegt. In den folgenden Jahren wurden zahlreiche Indizien dazu gesammelt und öffentlich diskutiert.
2015: Untersuchung durch den PUA
Der PUA hat sich sehr ausführlich mit dem Fall beschäftigt (siehe v. a. Seite 702-804 Abschlussbericht PUA), das Todesermittlungsverfahren wurde durch die Staatsanwaltschaft Stuttgart am 23. März 2015 noch einmal aufgenommen und am 17. Dezember 2015 neuerlich eingestellt (S. 1555-1571 Abschlussbericht PUA).
In der Gesamtschau ergibt sich ziemlich eindeutig, dass die fehlerhaften Ermittlungen der Polizei dennoch zu einem richtigen Ergebnis geführt haben und Florian He. tatsächlich Suizid begangen hat.
Die dagegen vorgebrachten Indizien sind, soweit es sich um objektiv überprüfbare Spuren handelt, hinreichend widerlegt worden, und soweit es sich um Aussagen von ZeugInnen handelt nicht glaubhaft. Der PUA hat sich bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit von ZeugInnen sehr zurückgehalten und nicht ausgesprochen, was indessen klar auf der Hand liegt: Die Aussagen, die gegen einen Selbstmord von Florian He. sprechen, stammen nahezu ausschließlich von seinen Familienangehörigen und seiner ehemaligen Freundin Yasmin M. („Bandini”) und sind in großen Teilen offenkundig unrichtig. Insbesondere die Eltern und die Schwester von Florian He. haben sich nach dessen Tod ein verklärtes Bild von ihm zurecht gebastelt und mit Tabu belegt, was psychologisch erklärbar ist, aber der Aufklärung im Wege steht. Obwohl alle wussten, dass Florian He. eine Neigung zu übertriebenen und erfundenen Geschichten hatte, wurden diese von der Familie und ihren „Followern” aus dem Verschwörungsmilieu unkritisch als objektiv wahr wiedergegeben und sogar im Laufe der Zeit um eigene Ausschmückungen bereichert.
Der Zuspruch von „wohlmeinenden” Unterstützern aus der NSU-Aufklärungs-Community hat dabei den Schaden noch deutlich verschlimmert. Ab dem Herbst 2013 haben diese sich wie die Aasgeier auf die traumatisierte Familie He. gestürzt und versucht, für ihre jeweiligen Verschwörungsgeschichten Futter zu bekommen. Diese Beutemacher geben bis heute keine Ruhe, zuletzt legte der „Kultursender” 3sat im Sommer 2015 nach beim Leichenfleddern und entlockte der Familie He. aufs Neue abwegige Stellungnahmen bis hin zu der Behauptung, Florian He. habe Beate Zschäpe persönlich gekannt.
Indizien pro und contra Suizid
Es gibt einige objektive Indizien, die eindeutig für einen Selbstmord von Florian He. sprechen und anders kaum zu erklären sind: Florian He. hatte das Superbenzin, in dem er verbrannte, am Abend vorher selbst gekauft (und es war definitiv für sein Auto ungeeigneter Kraftstoff, da der Wagen mit Ethanol betankt wurde). Er hatte im Laufe der Nacht über WhatsApp Nachrichten verschickt, die deutlich suizidal klangen. In den Sekunden vor, während und nach dem Brandausbruch sahen Zeugen keine andere Person in der Nähe seines Autos. Er hatte in diesem Auto zuvor längere Zeit allein gesessen. Er hatte zudem seit Jahren dokumentierte schwere psychische Probleme, die ihn schon mehrfach in den Bereich von Suizidgedanken gebracht hatten.
Hingegen sind die Indizien, die für einen Mordanschlag sprechen, nicht bestätigt worden: Die Behauptung, er wisse, wer den Mordanschlag von Heilbronn begangen habe, war offensichtlich Geschwätz und Aufschneiderei in der rechten Trinkerszene, in der er 2011 verkehrt hatte. Die Gruppe NSS war eine „Gründung” von ihm und einem weiteren jugendlichen rechten Trinker (Matthias Kl.), beide damals um die zwanzig und ohne feste Anbindung an organisierte rechtsradikale Strukturen; außer dieser „Gründung” bestand diese Gruppe wohl im wesentlichen in der Fantasie der beiden. Sollte er 2013 von Nazis bedroht worden sein, dann nicht aufgrund realer Kenntnisse über den NSU, sondern aufgrund seiner Geschichten, die möglicherweise einigen „echten” Nazis die Sorge bereiteten, sie könnten da in etwas hineingezogen werden.
Die Tragödie des Florian He. war ganz banal die eines – relativ – harmlosen Schwätzers, dessen Geschichten plötzlich von wildfremden Menschen ernst genommen werden und ein Eigenleben entwickeln, das ihn völlig überrollt.
Florian He., die Jahre 2010 – 2013
Untersuchung: Ich kann hier nicht auf alle Details eingehen und verweise daher noch einmal auf den Abschlussbericht des PUA.
Im folgenden versuche ich eine Geschichte von Florian He. nachzuzeichnen, wie sie aus den Akten und Aussagen nahe gelegt wird, ohne dass sie in den Details immer zu belegen ist.
2010 – Der Weg nach Heilbronn
Florian He. wurde 1992 geboren und wuchs in Eppingen auf, einer kleinen Stadt in Nordbaden nahe Heilbronn. Nach Angaben seiner Familie hatte er keine rechtsradikalen Neigungen, bevor er mit 18 Jahren nach Heilbronn kam, er selbst behauptete aber gelegentlich, schon mit 14 Jahren (also 2006) ein Rechter gewesen zu sein. Die gesamte Region Nordbaden – Rheinpfalz – Südhessen hat seit langem eine starke rechtsradikale Szene, und besonders im Kraichgau, also zwischen Heilbronn und Karlsruhe, sind viele Neonazis aktiv. Anders als von den Angehörigen He.s später dargestellt, gab und gibt es auch in Eppingen ein rechtsradikales Milieu, so gab es 2006 etwa eine Gruppe aus dem Blood&Honour-Nachfolge-Milieu namens „Weiße Rebellion Baden”, der etwa sieben Personen aus Eppingen zuzurechnen waren.
Nachdem Florian He. die Schule abgeschlossen hatte, begann er eine Arbeit bei einer Betonfirma in Bühl, 90 km südlich von Eppingen. Die dort begonnene Ausbildung brach er aber wohl nach einer Weile, möglicherweise nach einem Jahr, ab (die Angaben der Familie dazu im PUA waren widersprüchlich). Da Berufe im Bereich der Krankenpflege sozusagen „in der Familie lagen”, begann Florian He. im Oktober 2010 eine Ausbildung bei der SLK-Klinik Heilbronn. Ob diese Berufswahl ihm ebenso gut gefiel wie seinen Eltern, sei einmal dahingestellt – was Eltern für ihr Kind passend finden, findet das Kind nicht selten genau deshalb unpassend. Die Familie verband mit dem neuen Ausbildungsort wohl auch die Erwartung, dass er wegen der Nähe zur Stadt – Heilbronn liegt nur etwa 25 km von Eppingen entfernt – eine enge Familienbindung bewahren werde. Es kam aber anders.
Florian He., der sich bereits zuvor als „autonomer Nationalist” oder „rechter Autonomer” gefühlt hatte, lernte in Heilbronn die Szene an der „Harmonie” kennen. Dort, am Rande der Innenstadt zwischen Kongresszentrum und Stadtgarten, treffen sich seit Jahren Dropouts, Trinker, es wird mit Drogen gehandelt, das Milieu ist politisch indifferent. Florian He. kann da kaum zufällig hingekommen sein, denn der Ort lag nicht auf seinem normalen Arbeitsweg; es ist eher naheliegend, dass er bewusst Abstand zu seiner Familie suchte und froh war, einen Platz mit Kumpels weit weg vom spießigen Eppingen zu finden. Er zog dann auch aus Eppingen weg und nahm sich ein Zimmer im Wohnheim des Krankenhauses. An der „Harmonie” freundete er sich mit ein paar jungen Männern an, darunter Matthias „Matze” Kl., und ging wechselnde Frauenbeziehungen ein. Eine bereits vorher bestehende Beziehungspartnerin, Yasmin Ma., brachte er in die „Harmonie”-Szene mit.
Dort gab es auch eine Clique von rechten Skinheads um Worf Kr. und Christian Sp., genannt „Welpe”. Sp. war erst kurze Zeit zuvor aus dem Knast entlassen worden, er war im Oktober 2008 an einem ziemlich dilettantischen Brandanschlag beteiligt gewesen, der einer Flüchtlingsunterkunft gelten sollte, stattdessen aber ein Geschäftshaus mit CDU-Büro geringfügig beschädigt hatte.1 Sp. und Kr. waren in der „Harmonie”-Clique schon wegen ihres höheren Alters Wortführer und überzeugte Rechtsradikale, zudem hatte Sp. Kontakte ins organisierte Neonazi-Milieu der „Freien Nationalisten”.
Anfang 2011: Aufbruchstimmung bei Heilbronner Neonazis
Im Winter 2010 und Frühjahr 2011 herrschte in der rechtsradikalen Szene der Region Aufbruchstimmung. Die NPD hatte einen ganzen Bus voll Rechtsradikaler zum jährlichen rechten Aufmarsch in Dresden organisiert. Neonazis mobilisierten für eine eigene überregionale Demonstration am 1. Mai in Heilbronn. Spätestens im März 2011 hatten sich in Heilbronn eine Handvoll Personen aus dem Bereich der „Freien Nationalisten” zur öffentlich auftretenden „Aktionsgruppe Heilbronn” (AG Heilbronn) zusammengeschlossen, darunter auch Christian Sp. Parallel dazu war eine mehr oder weniger geheime überregionale Gruppe entstanden, die „Standarte Württemberg”, die von ihren Zielen her zwischen einer Wehrsportgruppe und einer militanten Gruppe einzuordnen war. Die „Standarte Württemberg” hatte als ihr Ziel erklärt, Ausländer aus Deutschland zu vertreiben – ähnlich wie der NSU, aber das ist keine Zielsetzung, die exklusiv für speziell diese beiden Gruppen wäre und deshalb eine Verbindung nahelegt, sondern Grundrauschen der allermeisten rechtsradikalen militanten Gruppen. Zwischen der „Standarte” und der „AG Heilbronn” gab es personelle Überschneidungen. Die Polizei ermittelte bald gegen 18 Mitglieder der „Standarte Württemberg”.
Florian He. kam also gerade richtig, um sich weiter zu politisieren und seine rechte Identität zu festigen. Allerdings bot die Szene an der „Harmonie” dafür nicht allzu viele konkrete Ansätze, weil dort vor allem gesoffen und herumgeredet wurde. Im Jahr 2015 hatte der PUA, lauter gestandene Bildungsbürger und Studierte, große Mühe dabei, sich vorzustellen, dass man damit ganze Tage zubringen kann und es mehr nicht zu erzählen gibt – doch, das geht wirklich! Manche Medien fanden es auch skandalös, dass ein im PUA 2015 befragter Heilbronner Kriminalpolizist nicht nur die rechtsradikale Szene in der Stadt verharmloste, sondern zudem den Treffpunkt an der „Harmonie” als politisch indifferent und insofern unbedeutend bezeichnete. Wir werden gleich noch sehen, dass das tatsächlich nur die halbe Wahrheit war, aber es war eben doch auch eine halbe Wahrheit. Die Leute an der „Harmonie” waren wirklich ein bunter Haufen und alles andere als eine rechtsradikale Kameradschaft.
Eine junge Frau aus der Clique bastelte irgendwann nach 2011 eine Webseite www.harmonie-heilbronn.de.tl, auf der zahlreiche Bilder von Leuten der „Harmonie” veröffentlicht wurden, zumindest einige wichtige Fotos stammen aus dem Mai 2011. Auf der Startseite posieren mehrere Personen mit Deutschlandfahnen, wobei jedoch ein eindeutiger Bezug zur Fußball-Nationalmannschaft erkennbar ist, eventuell entstand das Bild ja auch schon 2010 während der Fußball-WM. Auf den folgenden Fotos sind 37 verschiedene Personen zu sehen, von denen nur drei erkennbar rechtsradikal bzw. als solche bekannt geworden sind: Dennis Ge., der damals mit einem stümperhaft in die Brust geritzten Hakenkreuz daherkam; Christian „Welpe” Sp., der mit Plüschhündchen und vermutlich einem in Knast-Qualität auf die linke Hand tätowierten Hakenkreuz posiert, und André Ha. als Skinhead mit Silberkettchen, der übrigens 2015 auch vom PUA angehört wurde. Die übrigen sind weder durch Styling noch durch Kleidung oder Hintergrund als Rechte erkennbar, einer trägt sogar ein T-Shirt der „Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands” (APPD). Dass sie sich nicht gegen Rechtsradikalismus abgrenzten, ist unübersehbar, und dass eine solche Mischung aus Drogenmissbrauch, latenter Gewalt und Rechtsoffenheit eine Gefährdung für vor allem „nicht-deutsch” aussehende PassantInnen bedeuten konnte – was ein ordentlicher deutscher Heilbronner Polizist vielleicht gar nicht wahrnimmt – das alles ist nicht zu bestreiten. Doch für jemanden, der sich wirklich rechtsradikal betätigen wollte, konnte das höchstens einen Einstieg bedeuten. Und Florian He., von dem übrigens kein Foto dabei ist, war damals wohl durchaus schon einen ideologischen Schritt weiter, wie er durch das Tragen eindeutiger T-Shirts (Aufdruck „Consdaple” bzw. „Nazionalist”) bezeugte.
Frühjahr 2011, die Neoschutzstaffel wird „gegründet”
Florian He. machte in diesem Frühjahr Erfahrungen, die nicht wenige in ihrer Entwicklung gestörte junge Männer so oder ähnlich kennen: Abgrenzungsbedürfnis gegen ein als kontrollierend empfundenes Zuhause, keine eigene Idee für die Zukunft und fehlendes Durchhaltevermögen, Drogen- und Alkoholmissbrauch bringen überall Jungmänner dazu, laut zu werden und sich gewaltsam abzureagieren. Die Neonazis an der „Harmonie” boten dafür die geeignete Folie an, einfache Feindbilder und Hass-Sprache. Florian He. klaute bei der Arbeit im Krankenhaus Medikamente, und an manchen Tagen trank er an der „Harmonie” oder bei anderen Geselligkeiten der Clique so viel Alkohol, dass sich selbst seine Kumpels um ihn sorgten. Er wurde davon aggressiv und gewalttätig. Das Verhältnis zu seiner Familie war zerrüttet, in Neonazi-Klamotten sollte er das Haus nicht mehr betreten, angeblich soll sein Vater sogar einmal die Tür vor ihm versperrt haben, als er von (vermeintlichen) Linken verfolgt wurde. Allerdings beruht diese Geschichte wohl auf Florian He.s eigenen Aussagen, und diese passten sich dem allgemeinen Stil an der „Harmonie” an und wurden immer phantastischer: Er erzählte bisweilen, er habe schon mehrere Menschen umgebracht, er werde von der Russenmafia verfolgt…
Einer seiner besseren Kumpel an der „Harmonie”, Matthias Kl., hatte im Frühjahr 2011 offenbar eine gute Idee. Vermutlich hatte es, vermittelt über Christian Sp. oder auch Kai Ulrich St., der ab und zu bei der „Harmonie”-Clique vorbeischaute, schon die eine oder andere Aufschneiderei bezüglich der aktuell stattfindenden Neonazi-Organisierung in Form der „AG Heilbronn” und „Standarte Württemberg” gegeben. Zwar hatten Frischlinge und Trinker kaum Chancen, in solchen Kreisen ernst genommen zu werden, aber sie wollten halt irgendwie dazugehören. Daher, so meine Vermutung, gründeten Matthias Kl. und Florian He. 2011 die „Neoschutzstaffel” (NSS). In den späteren Aussagen dazu sagte Matthias Kl., er selbst sei bei einer Demonstration in Dresden 2011 „angeworben” worden von einem Unbekannten und habe dann nie wieder etwas davon gehört, und im Frühjahr 2011 habe er Florian He. eingeweiht und angeworben.
Die anderen vernommenen Personen aus der „Harmonie”-Clique bestreiten durchweg, jemals etwas von der NSS gehört zu haben. Sie bestreiten aber auch, von der „AG Heilbronn” gehört zu haben, weshalb ihre Aussagen mit großer Vorsicht zu genießen sind. Spätestens nach dem Tod von Florian He. 2013 war allen aus dieser Szene klar, dass sie hier in gefährliches Fahrwasser gerieten, und sie wollten sicher nicht irgendwie mithaften für seinen Tod oder für Neonazi-Organisationen, die – ob zurecht oder nicht – mit dem NSU in einem Atemzug genannt wurden. Bei der Aussage von Matthias Kl. ist vorstellbar, dass die Geschichte mit der Dresdener Demo ein Versuch ist, die „Schuld” an der NSS abzuwälzen auf unbekannte Dritte und er das eigene dilettantische Vorgehen (ein selbst entworfenes „Beitrittsformular” von Florian He. unterschreiben zu lassen) einfach rückwärts projiziert hat. Zudem scheint das Gründen fiktiver gefährlicher Gruppen durchaus keine Ausnahmeerscheinung an der „Harmonie” gewesen zu sein, wenn es galt, die Langeweile irgendwie zu bewältigen.
Lebensnah wäre ein Szenario, in dem die beiden jungen Wilden – und eventuell noch weitere – sich die NSS ausgedacht haben, um irgendwie zu der großen Organisierungsoffensive der Neonazis dazu zu gehören. Dazu passt auch, dass Vater He. im März 2015 vor dem PUA sagte, nach Angaben seines Sohnes sei die NSS eine „Untergruppe aus der Standarte Württemberg”2 gewesen.
1. Mai 2011 – Ein guter Tag für Neonazis
Im Vorfeld der Demonstration am 1. Mai 2011 gab es diverse Aktivitäten von Neonazis in der Stadt und Auseinandersetzungen mit Linken. Der 1. Mai selbst war dann ein großes Ereignis für Heilbronn: Fast 800 Neonazis vor allem aus Süddeutschland und dem Rheinland zogen durch die Stadt, durch ein riesiges Polizeiaufgebot abgeschottet von Gegendemonstrationen. Die „AG Heilbronn” marschierte mit einem Transparent gefolgt von knapp 20 Leuten ganz vorne im Zug mit. Florian He. wollte auch zu der Demonstration, bei einer Polizeikontrolle wurden ihm Quartzsandhandschuhe weggenommen; auf den Fotos der in regionale Marschblöcke unterteilten Demo ist Florian He. dann aber nicht zu sehen. Er war also zumindest nicht bei dem organisierten Heilbronner Block, während eine der Personen in der Gruppe hinter dem Transparent zumindest Ähnlichkeit mit Christian Sp. aufweist. Die Neonazis werteten die Demo als großen Erfolg und spürten im Sommer 2011 Rückenwind.
So steht in einem Bericht der Antifa Heilbronn vom Herbst 2011 zu lesen: „In der Heilbronner Innenstadt traten im Sommer teilweise größere Gruppen jugendlicher Nazis auf, die offen faschistische Symbole (Schmuck, Kleidung) zur Schau trugen und entsprechende Musik hörten. Besonders auffällig war ein regelrechter Treffpunkt an der „Harmonie“ in Heilbronn. Zum Teil bestanden zwischen diesen „Straßennazis“ und der „AG Heilbronn“ persönliche Kontakte. Mehrmals kam es zu Bedrohungen und Pöbeleien gegen migrantische oder alternativ aussehende Jugendliche durch diese Nazi- Cliquen. Allerdings gab es schon nach weniger Zeit auch erfolgreiche Gegenwehr gegen die Faschisten. Es kam nicht nur zu Auseinandersetzungen zwischen AntifaschistInnen und Nazis, sondern auch bedrohte und angegriffene MigrantInnen organisierten erfolgreich ihre Selbstverteidigung. Dadurch konnte das offene und selbstbewusste Auftreten von Nazis in der City zumindest teilweise deutlich eingeschränkt werden.”
Auch Florian He. fühlte sich offenbar vom Aufwind der Neonazis erfasst. Er kam im Mai im rechten Skin-Outfit in die SLK-Klinik, wurde aber umgehend von der Schulleiterin zurechtgewiesen und reagierte erstaunlich defensiv darauf: Er erklärte, ja eigentlich von der rechten Szene wieder weg zu wollen, und verzichtete fortan auf rechten Kleidungsstil an der Schule.
Ende Mai hatte Christian Sp. Geburtstag, dieser wurde von der „Harmonie”-Clique und Freunden mit Bier und Grill auf dem Wartberg bei Heilbronn gefeiert. Sp. befestigte notdürftig eine Hakenkreuzfahne, einige posierten davor, das Foto kursiert im Internet: Florian He. ist mit „Consdaple”-Shirt und Hitler-Gruß zu sehen, Worf Kr. zeigt den „Kühnen”-Gruß, ein weiterer Gast, vermutlich Denis Ge., zeigt den Hitler-Gruß. Interessanterweise präsentieren die beiden anderen Personen auf dem Foto, die auch zum Kreis der „Harmonie”-Clique gehörten, nur das „Victory”-Zeichen bzw. die „Mano cornuta” aus dem Heavy Metal, was als Hinweis auf die politische Indifferenz der Gruppe gedeutet werden kann.
Sommer 2011: Waffen und Sinnkrisen
Während Florian He. den betrunkenen Hitler-Gruß übte, feierten kurz danach die organisierten Neonazis die offizielle Gründung der „AG Heilbronn” am 11. Juni 2011 mit rund 40 Gästen, darunter NPD-Funktionäre und Karlsruher Kameraden. Mitte Juli rief die „AG Heilbronn” dazu auf, eine linke Gedenkkundgebung für den 1996 von Neonazis in Eppingen erschlagenen Werner Weickum zu stören und versuchte das am 19. Juli auch ohne großen Erfolg. Ein Mitglied der „AG Heilbronn”, Kai Ulrich St. aus Ilsfeld, der schon 2007 durch rechtsradikale Gewalt aufgefallen war und als Waffennarr galt, soll schon Ende 2010 Waffen beschafft haben, die er an die „Standarte Württemberg” weitergab. Als dann die Polizei am 27. Juli zur landesweiten Durchsuchungsaktion gegen die „Standarte” anrückte, wurden lediglich vergleichsweise harmlose Waffen gefunden, darunter eine Pistole mit Munition, deren Schussfähigkeit ungewiss gewesen zu sein scheint, und drei manipulierte Luftdruckgewehre. Ob die Bewaffnung der „Standarte Württemberg” wirklich so schlecht war oder ob die scharfen Waffen erfolgreich versteckt wurden, wäre noch herauszufinden. Jedenfalls aber war die Gruppe nur eingeschränkt als konspirativ zu bezeichnen, denn bei der Razzia wurden auch Kapuzenshirts mit dem Aufdruck „Standarte Württemberg” und der „schwarzen Sonne”, einem bei Rechtsradikalen gerade im B&H-Umfeld beliebten Symbol, von der Polizei sichergestellt.
Bewaffnung war auch für Florian He. ein Thema. Die Quartzsandhandschuhe waren nur der Anfang. Er hatte sich auch eine Schreckschusspistole Walther PP 22 besorgt, die im Aussehen einer Polizeipistole ähnelt und für etwa 120,00 € zu kaufen ist. Anfang Juli 2011 bedrohte er damit in betrunkenem Zustand an der „Harmonie” einen Kumpel, weil er sich von ihm angemacht fühlte. Aufgrund seiner Aggressivität zeigten andere aus der Clique ihn umgehend bei der Polizei an, die am 5. Juli 2011 zur Durchsuchung seines Zimmers im Wohnheim anrückte und dort die Pistole und geklaute Medikamente sicherstellte. Dieser Vorfall mit der Pistole könnte der „wahre Kern” der späteren Hochstapeleien von Florian He. sein, wonach er für wichtige Neonazis den Waffenbunker zur Verfügung gestellt habe und, nachdem diese Waffen abhanden gekommen seien, nun von ihnen mit Schadensersatzforderungen drangsaliert werde. Den Medikamenten-Diebstahl räumte Florian He. übrigens Anfang 2012 in einem Gespräch mit der Jugendgerichtshilfe ein.
Keine zwei Wochen später, am 17. Juli 2011, einem Sonntag, war Florian He. wieder sehr betrunken. Eine Freundin hatte sich von ihm getrennt, allgemeine Zukunftsangst übermannte ihn, er fühlte sich bei den Rechten nicht wohl und insgesamt heimatlos. Er übernachtete bei einem Freund, erzählte ihm von Selbstmordfantasien und habe, der Erinnerung des Freundes zufolge, „angefangen, mit einem Messer an seinem Handgelenk herumzuschneiden.”3 In dieser Situation projizierte er offenbar seine eigenen Gedanken auf andere und rief irgendwann die Notrufnummer an, um einen vermeintlichen Selbstmörder auf einer Brücke zu melden – womit er eigentlich wohl sich selbst meinte, anstatt helfender Hände jedoch umgehend ein Ermittlungsverfahren wegen des Missbrauchs von Notrufen bekam. Dies war die letzte polizeiliche Auffälligkeit von Florian He. im „heißen Sommer” 2011. Der polizeiliche Staatsschutz von Heilbronn, der prinzipiell eher zur Verharmlosung von Rechtsradikalen neigt, hier aber wohl nicht so weit daneben lag, stufte Florian He. 2011 als nicht sehr gewitzten Mitläufer ein, der mit sich und der Welt nicht klarkam und vor allem Drogenprobleme hatte.
Herbst 2011: Es geht allgemein bergab – und es fallen verhängnisvolle Bemerkungen
Anfang August war für die SLK-Klinik das Maß voll, der Ausbildungsvertrag mit Florian He. wurde fristlos gekündigt, offizieller Grund waren unentschuldigte Fehlzeiten und Unpünktlichkeit. Wie meistens in solchen Fällen dürfte das Gesamtbild um einige arbeitsrechtlich weniger klar geregelte Details zu bereichern sein: Diebstahl von Medikamenten, Zugehörigkeit zur rechten Szene, psychische Labilität… Einige Tage später wurde sein Zimmer offenbar noch einmal durchsucht, was zwei Schülerinnen zum Anlass nahmen, die Schulleiterin auf Florian He. anzusprechen. In diesem Gespräch erwähnten sie auch, er habe einmal fallenlassen, die wahren Mörder von Michèle Kiesewetter zu kennen, diese seien in der rechten Szene zu suchen. Die Schulleiterin tat das als Prahlerei von Florian He. ab und ahnte nicht, welche gefährliche Dynamik diese Bemerkungen später einmal entwickeln würden.
Florian He. war sich im Herbst 2011 offenbar unsicher, wie es weitergehen sollte. Immer wieder äußerte er, sich von der rechtsradikalen Szene lösen zu wollen. Der Druck der Kündigung und der verschiedenen inzwischen gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahren wegen der Quartzsandhandschuhe am 1. Mai, der Schreckschusswaffe, des Notruf-Missbrauchs und eines gezeigten Hitler-Grußes machte sich bemerkbar. Er wusste von dem Aussteigerprogramm „BIG Rex” in Baden-Württemberg, scheint es aber in dieser Zeit noch nicht kontaktiert zu haben. Doch in seiner eigenen Clique schürte er mit seiner Wankelmütigkeit Misstrauen, und einige Leute in Heilbronn nahmen ihm seine Schwätzereien so übel, dass nach Aussage einer Zeugin jemand „seinen Kehlkopf als Souvenir” haben wolle.
Am 23. September 2011 ging Florian He. in einen Waffenladen und kaufte dort für 115 € eine Gasdruckpistole Heckler & Koch USP, ähnlich wie seine frühere Schreckschusspistole ein „look alike”, also eine frei verkäufliche Pistole, die einer scharfen Schusswaffe nachempfunden war (die echte H&K USP wird von Polizei und Militär eingesetzt) und die vom Handel beworben wird mit Sätzen wie „Die H&K Markings sind authentisch auf der Pistole angebracht”.4 Die Pistole verschießt 4,5mm-Stahlkugeln, kann also durchaus schmerzhafte Verletzungen verursachen, aber die Mimikry als scheinbar echte Pistole dürfte eher der Grund dafür gewesen sein, dass Florian He. sie gegenüber seiner Familie großsprecherisch als seine „Lebensversicherung” bezeichnete. Das hinderte seinen Vater nicht daran, sie ihm abzunehmen und einem Rechtsanwalt zu übergeben, um schlimmeres zu verhüten.
Während die Waffen-Ambitionen von Florian He. sich also weiterhin im frei verkäuflichen Bereich bewegten, schritten andere Neonazis, mutmaßlich aus der „Standarte Württemberg” oder deren Umfeld, Ende Oktober 2011 zu Schießübungen im Wald bei Ilsfeld, wobei die Polizei einige Personen kontrollierte, aber keine Waffen fand. Dennoch zeigten Verfolgungsdruck, politischer Gegenwind und innere Zerwürfnisse offenbar Wirkung. Die Webseite und der Facebook-Auftritt der „AG Heilbronn” wurden zunehmend weniger gepflegt; die eigene Webseite, die erst im August 2011 online gegangen war, verschwand im Dezember 2011 bereits wieder in der Versenkung. Nicht zuletzt die Defensive, in die Neonazis bundesweit nach dem Auffliegen des NSU am 4. November 2011 gerieten, dürfte zum Niedergang der neuen Gruppen beigetragen haben. Zweifellos wechselten die überzeugten Neonazis 2012 in andere aktive Gruppen über oder gründeten neue, doch an die Aufbruchphase vom Frühjahr/Sommer 2011 konnten sie 2012 nach damaliger Einschätzung von Antifa-BeobachterInnen nicht mehr anknüpfen.
November 2011 – Ermittlungsbehörden werden wach
Zwischen Anfang November und Anfang Dezember 2011 wurde Florian He. in den gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahren mehrfach vernommen und berichtete dabei von seinem „Selbstmordversuch” im Juli.5 Nachdem ab dem 6. November die ersten NSU-Enthüllungen durch die Medien rollten, erklärte Florian He. seiner Schwester gegenüber, das sei ein Riesending, in dem auch „hohe Tiere” drinhingen – in dieser Allgemeinheit eine Sichtweise, die wohl in Deutschland viele Menschen teilten und die kein Detailwissen offenbarte. Auch seiner Freundin Yasmin Ma. erzählte er scheinbar ähnliches, auch bei ihr mit dem Hinweis, er wolle lieber keine Einzelheiten nennen, um sie nicht zu gefährden.
Die Angaben der beiden Frauen sind interpretierbar, weil nicht eindeutig: Fanden die Gespräche vor dem 4. November statt oder kurz danach? Wann nahmen sie selbst die Berichterstattung zum NSU wahr, hatte Florian He. vielleicht einen Aufmerksamkeitsvorsprung, so dass er ihnen etwas erzählte, bevor es ihnen über die Medien bekannt wurde? Hatte er vor dem November wirklich vom „NSU” gesprochen? Wenn Yasmin Ma. sagt, er habe sich „auf die NSU, bzw. die in Baden Württemberg agierende Personen”6 bezogen, so kann das auch bedeuten, dass er ursprünglich von Neonazis in der Region gesprochen hatte und diese Erinnerung später mit Gesprächen über den NSU angereichert worden war. Ebenso unsicher ist die Erinnerung von Vater He., wenn er vor dem PUA sagt: „Das sind einfach Vereinigungen: NSU, NSS, „Standarte Württemberg“. Das waren ja für mich alles Fremdwörter.”7 Auch hier ist angesichts der mangelnden Vertrautheit mit der Thematik alles andere als klar, ob und wenn ja zu welchem Zeitpunkt welcher Name wirklich genannt wurde, auch wenn die letzteren beiden behaupten, sich in ihrer Erinnerung, es sei vor dem November vom NSU gesprochen worden, sicher zu sein (während die Schwester von Florian He. vor dem PUA aussagte, erst nach dem 4. November habe er sich so geäußert). Jedenfalls aber sah sich nach dem 4. November 2011 erst einmal niemand von ihnen bemüßigt, dieses exklusive Wissen über die dramatische Verbrechensserie der Polizei, den Medien oder sonstwem mitzuteilen.
Dafür meldete sich die Schulleiterin der SLK-Klinik umgehend bei der Polizei und gab am 19. November die Aussage der beiden Mitschülerinnen von Florian He. aus dem August 2011 zu Protokoll. Sie sagte dabei auch, dass sie die Bemerkungen von Florian He. als Wichtigtuerei eingeschätzt habe und weigerte sich, die Namen der Mädchen preiszugeben, um deren Privatsphäre zu schützen. Nun nahm sich also das LKA Florian He. vor, die Vernehmung fand am 17. Januar 2012 statt – es war demnach für Florian He. innerhalb von zehn Wochen vermutlich das vierte Mal, dass er polizeilich vernommen wurde, vielleicht erklärt das auch die Wahrnehmung der vernehmenden Oberkommissarin, er habe recht gelassen gewirkt, die Situation scheinbar eher als „cool” empfunden und keine Bedrohungsgefühle erkennen lassen. Für sein Selbstwertgefühl könnte die neuerliche Vernehmung durchaus zumindest kurzzeitig positiv gewirkt haben: Es ging nun nicht mehr um seine eigenen kleinen und kleinlichen Vergehen, um peinlich Privates, das onkelhafte Kommissare der Heilbronner Kripo ihm entlocken wollten, sondern um große Geschichten, mit denen er frei hantieren konnte, weil er in Wahrheit nichts damit zu tun hatte. Er wurde aufgewertet, das LKA bemühte sich um ihn, er war Zeuge im größten Kriminalfall Deutschlands.
Anfang 2012: Neoschutzstaffelgeschichten aus Öhringen
In der Vernehmung am 17. Januar 2012 sagte Florian He. ziemlich eindeutig, dass er nichts über die Ermordung von Michèle Kiesewetter wisse und alles Aufschneiderei gewesen sei, wie sie eben an der „Harmonie” üblich sei – um Jüngere zu beeindrucken und zu erschrecken. Dann fing er an, von der NSS zu sprechen und dem Treffen in Öhringen, einer Versammlung der zwei „radikalsten Gruppen in Deutschland” mit 50 Personen. Es habe Fahnen mit Symbolen gegeben, aber was „NSU” ausgeschrieben bedeutet, sei nicht erklärt worden, er habe das nach dem 4. November erst von seiner Mutter (!) erfahren. Leider scheinen die Ermittler Florian He. nicht darum gebeten zu haben, die Fahnen-Symbole zum Vergleich aufzuzeichnen… Aber sie fuhren mit ihm nach Öhringen und identifizierten den dortigen Keller im „Haus der Jugend“ als den Ort, an dem das Treffen stattgefunden habe.
Da seine vorher gemachte Lageskizze stimmte, musste er wohl wirklich schon einmal dort gewesen sein. Was allerdings gar nicht passte, war seine Behauptung, dieses Treffen habe 2010, später konkretisierte er das sogar auf „Februar 2010”, stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt war Florian He. noch gar nicht in der rechten Szene in Heilbronn unterwegs gewesen, geschweige denn Mitglied in irgendwelchen Gruppen. Matthias Kl., den „Gründer” der NSS, hatte er erst frühestens im Sommer 2010 kennengelernt. Nun warnt die Zeugenpsychologie davor, Jahresangaben zu genau zu nehmen, es ist ganz normal, nicht mehr sicher sagen zu können, ob ein Ereignis vor zwei oder vor drei Jahren stattgefunden hat. Doch ob etwas im vergangenen Jahr passiert ist (in diesem Fall: 2011) oder davor, das sollte man kurz nach Neujahr schon noch sagen können.
Nach Angaben der Oberkommissarin war es völlig offensichtlich, dass Florian He. gelogen hatte, und auch seine Körpersprache und seine Äußerungen hätten zum Ausdruck gebracht, dass er sich ertappt gefühlt habe. Deshalb wurde die „Spur NSS” damals nicht ernsthaft weiterverfolgt. Für die Polizei galt im Prinzip, dass angesichts des Ausmaßes der NSU-Verbrechen jedem kleinen Hinweis erst einmal nachgegangen werden musste, aber hier hatte man es offensichtlich mit einer der vielen Sackgassen zu tun, oder einem Teil der Flutwelle aus Aufschneiderei und unglaubhaften Zeugenaussagen, die nach dem 4. November 2011 über die Ermittler hereingebrochen war. Dabei war, rückblickend betrachtet, die Geschichte von Florian He. gar nicht mal vollkommen unglaubhaft und erfunden, lediglich einige wichtige Details hatte er hinzu gedichtet.
Selbstverständlich ist die Behauptung lächerlich, eine klandestine Gruppe wie der NSU habe sich mit 50 Leuten unter Beteiligung von achtzehnjährigen Trinkern der „Harmonie” in einem Jugendclub getroffen. Doch es ist allgemein bekannt, dass Rechtsradikale dazu neigen, überall Verschwörung und Konspiration zu vermuten, und gerne sich selbst mitten darin. Die kolportierten Erzählungen von Florian He. vor und nach dem November 2011 lassen es als gut vorstellbar erscheinen, dass in seiner Wahrnehmung Gruppen wie die „Standarte Württemberg” sehr groß, bedrohlich und gut organisiert wirkten – umso größer und bedrohlicher, da er selbst nicht mitmachen durfte. Er traute ihnen sicher schon vor dem Auffliegen des NSU schlimme Taten zu, und in den Medienberichten nach der Razzia vom 27. Juli 2011 war ausdrücklich die Rede davon gewesen, dass die „Standarte” Aktionen gegen Ausländer beabsichtigt hatte. Dies und das Geschwätz über mögliche Täter der Polizistenmorde von 2007 in rechten Kreisen fand in den Enthüllungen über den NSU nach dem 4. November 2011 eine scheinbar passende Entsprechung.
All die Verschwörungsgeschichten, die nach dem Tod Florian He.s von anderen um ihn herum gesponnen worden sind, hat er vielleicht selbst schon Anfang 2012 in seiner Fantasie entwickelt: Gab es vielleicht eine Verbindung zwischen NSU und „Standarte Württemberg”? Hatte er vielleicht unwissentlich durch seine Bekanntschaft zu Neonazis wie Christian Sp. und Kai Ulrich St. in unmittelbarer Nähe zu sehr gefährlichen Männern gestanden? War er damit nicht selbst fast auch schon ein gefährlicher Mann, zumindest ein Geheimnisträger? Und war die NSS als „Fan Fiction” der „Standarte Württemberg” nicht auch irgendwie da hinein verwoben? Man hätte sich ja im Grunde zusammenschließen können, zum Beispiel bei einem hochgeheimen Treffen in einem Jugendclub, in dessen Räumlichkeiten er selbst irgendwann einmal zufällig gewesen war… So wurde die NSS unversehens zur Partnerorganisation des NSU, wenn auch nur in der Fantasie des Florian He.
Frühjahr 2012 – Vergangenheitsbewältigung und Wankelmut
Ob diese Geschichte ein Auslöser oder ein Symptom seiner psychischen Probleme war, sei dahingestellt – jedenfalls ging es Florian He. Anfang 2012 nicht gut, trotz oder gerade wegen seiner zunehmenden Distanzierung von der rechten „Harmonie”-Clique. Er fand offenbar keinen gleichwertigen Ersatz für die dortigen Heimatgefühle. Er hatte zumindest zwischen Januar und März 2012 etliche Termine bei einem Psychiater, er meinte Stimmen zu hören, der Begriff „paranoide Schizophrenie” soll gefallen sein, er nahm einige Zeit starke Psychopharmaka dagegen. Möglicherweise in dieser Zeit (die Aussagen dazu vor dem PUA sind unklar, vielleicht war es auch schon früher) hatte er auch einen schweren Verkehrsunfall, dem monatelange Schmerzen und die Einnahme von starken Schmerzmitteln, darunter Tilidin, folgten. Im April 2012 wurde er an der Schulter operiert. Später beklagte er eine durch all dies verursachte Medikamentenabhängigkeit.
Parallel dazu setzte die juristische Aufarbeitung seiner wilden Zeit an der „Harmonie” ein, im Frühjahr 2012 musste er sich vor Gericht verantworten. Letztlich kam dabei nur eine Geldstrafe über 300 € wegen Verstoßes gegen § 86a StGB heraus (Zeigen des Hitlergrußes), die anderen Verfahren wurden eingestellt. Auch wegen der bei ihm gefundenen Waffen wurde er nicht belangt, was ein weiteres Zeichen dafür ist, dass niemals irgendwelche scharfen Schusswaffen irgendwelcher Neonazis bei ihm sichergestellt worden waren. Er konnte deshalb auch nicht, wie er seiner Familie erzählt haben soll, diesen Neonazis viel Geld geschuldet haben (die Angaben zur Höhe der Schuld variierten in seinen Erzählungen und/oder in der Erinnerungen der Familie zwischen 15.000 € und 4.000 €). Es ist viel eher anzunehmen, dass er diese Geschichte von den „Schulden” benutzte, um sich finanzielle Unterstützung – mutmaßlich für seinen Drogenkonsum – von der Familie zu besorgen, und das mit Erfolg, denn er bekam immer wieder Geld von ihnen.
Er hatte, angeregt durch die Vernehmung im Januar, nun auch ernsthaft Kontakt zum Aussteigerprogramm „BIG Rex” aufgenommen, wobei die Erwartungshaltungen hier offenbar sehr unterschiedlich waren. Scheinbar erhoffte er sich mehr praktische Hilfe von den Polizisten, mit denen er ein paar Gespräche führte, und diese erhofften sich von ihm mehr Eigeninitiative. Was sie „biographische Aufarbeitung” nannten, klang für ihn wie Abschöpfen von Informationen, und vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte dazwischen. Letztlich sind Polizisten keine Sozialarbeiter, und „Aussteigerprogramme” sind nicht, wie Florian He. es vielleicht manchmal verwechselte, „Zeugenschutzprogramme” mit Rund-um-die-Uhr-Betreuung und Hotelzimmer auf Staatskosten. Andererseits forderten die Polizisten der „BIG Rex” von ihm eindeutige Schritte der Distanzierung vom rechten Milieu, die er nicht konsequent zu tun bereit war. Der Kontakt plätscherte deshalb mehr vor sich hin und hat Florian He. vermutlich vor allem in weitere Kalamitäten gegenüber seinen alten Kumpels gebracht, die wissen wollten, auf welcher Seite er denn nun stehe.
Sommer 2012 bis Sommer 2013: Die Wogen scheinen sich zu glätten, aber was brodelt darunter?
Nach dem Scheitern der Ausbildung an der SLK-Klinik startete Florian He. einen Anlauf, die Fachoberschulreife nachzuholen, und besuchte dazu eine Schule in Bretten, zwischen Eppingen und Karlsruhe gelegen und damit ein gutes Stück weg von Heilbronn. Er begann ein begleitendes Praktikum in einem Fitnessstudio und suchte sich als Ventil für seine Unzufriedenheit eigenes Fitnesstraining. Allerdings war er dann auch wieder in einen Einbruch in das Fitnessstudio verwickelt, konnte die Beteiligung nicht leugnen und stand damit wieder bei allen blöd da: Bei seinem Arbeitgeber als unzuverlässig (obwohl er weiter arbeiten durfte), bei seinen Kumpels als jemand, der nicht dichthält. Seine Ausflucht, er sei zur Beihilfe bei dem Einbruch gezwungen worden, dürfte eher eine Beruhigungspille für die Familie gewesen sein, die ihn solidarisch unterstützte bei seinen Versuchen, von den schlechten Einflüssen der „Harmonie” wegzukommen. Ende 2012 schien sich sein Leben zu stabilisieren, er trug keine rechten Klamotten mehr und war wieder öfters daheim.
Das erste Halbjahr 2013 scheint ein Wechselbad der Gefühle gewesen zu sein. Je nachdem, welche Aussagen und Details man wichtiger nimmt, lässt sich eine Stabilisierung im Leben des Florian He. herausdeuten (so sieht es die Familie gerne) oder eine zunehmende Verunsicherung und Heimatlosigkeit. Im Mai 2013 bekam er den Führerschein und durfte später das alte Auto seines Vaters benutzen (das, in dem er später starb), und alle Zeugen sind sich einig, dass er zu dem Auto ein fast schon fetischistisches Verhältnis entwickelte. Doch gleichzeitig wiesen Einträge auf seiner Facebook-Seite auf „familiäre Probleme” hin, Ende Juni brach er die Schule ohne fertigen Abschluss ab, und einer Freundin schrieb er per WhatsApp, „… :( Ich denk zur Zeit eh nur noch darüber nach ob ich etwas bestimmtes machen soll oder nicht bisher hab ich es wegen meinen eltern gelassen…“8, was als Suizid-Gedanke zumindest interpretierbar ist.
Obwohl einiges aus seiner Kommunikation der letzten Monate vor seinem Tod entweder verloren gegangen ist oder von der Familie aus privaten Gründen zurückgehalten wurde, haben der PUA und insbesondere die Ermittlungsbehörden doch auch sehr viel insbesondere an WhatsApp-Chats auswerten können. Daraus haben sich keine Hinweise auf konkrete Bedrohungen aus der rechten Szene oder woanders her ergeben, und auch keine Hinweise auf eigene Mitwisserschaft an Verbrechen, hingegen verschiedene Hinweise auf psychische Instabilität und Depressionen. Es ist der Staatsanwaltschaft auch zuzustimmen, wenn sie in ihrer Einstellungsverfügung im Dezember 2015 schreibt, angesichts der klaren Äußerungen der Angehörigen von Florian He., es habe Bedrohungen von Florian He. vor seinem Tod gegeben und es solle hier etwas vertuscht werden, hätten die Angehörigen wohl tatsächlich vorhandene Belege dafür umgehend ihren Medienkontakten mitgeteilt. Das Fehlen solcher Veröffentlichungen zeigt, dass es auch in den unveröffentlichten privaten Chats und Facebook-Einträgen von Florian He. solche Indizien offenbar nicht gibt.
Spätsommer 2013: Neue Anläufe, neue Leute, aber alte Abgründe…
Im Spätsommer 2013 machte Florian He. einen erneuten Anlauf, sein Leben in den Griff zu kriegen. Er hatte eine neue Beziehung begonnen mit Melisa Ma., die er auf der Schule kennengelernt hatte, und er fand einen Job als Bauhelfer bei der Firma Ha. Fertigteilbau GmbH, der in eine Ausbildung zum Stahlbetonbauer überführt wurde. Dazu wechselte er Ende August 2013 an eine überbetriebliche Ausbildungsstätte mit Wohnheim in Remshalden östlich von Stuttgart, immerhin knapp 90 km entfernt von Eppingen – aber er hatte ja nun ein eigenes Auto und trank nur noch mäßig Alkohol. Doch dort holten ihn schon sehr schnell die dunklen Schatten wieder ein: Er entwickelte Verfolgungsängste, weil an der Schule mindestens ein ihm bekannter Rechtsradikaler war. Er hatte Schlafstörungen und nahm Medikamente. Seiner alten Freundin Yasmin Ma. schrieb er in dieser Zeit etwas von „‛übelsten blackout’, einer Gehirnblutung und ‛epeleptischen anfällen’ sowie einem Besuch bei einem Neurologen und einer MRT“9, er halluzinierte und hatte Angst, den Führerschein zu verlieren und damit sein geliebtes Auto. Ein Scheitern der Ausbildung schon nach kurzer Zeit, ein neuerliches Versagen, dürfte sich bedrohlich vor ihm aufgebaut haben.
Am Wochenende vor seinem Tod war er zuhause in Eppingen. Am Sonntag Nachmittag hatte er dort ein Telefonat, das ihn nach Aussagen der Familie verstörte. Ob es dabei um eine Bedrohung aus der rechten Ecke ging, wie seine Angehörigen nachträglich vermuteten, ist ungewiss – er hatte seit 2011 so oft erzählt, dass er von dunklen Mächten verfolgt und bedroht wurde, dass es für Außenstehende schwer gewesen sein dürfte, zu erkennen, was Realität und was seine Fantasie war. Wechselte er seine Handy-SIM-Karten wirklich so oft, um vor Neonazis sicher zu sein, oder vielleicht damit seine wechselnden Freundinnen ihn in Ruhe ließen, oder die Polizisten der „BIG Rex”, oder irgendwelche Leute, denen er Geld für Drogen schuldete? Bekam er Drohanrufe von gefährlichen Neonazis, oder riefen ihn alte Kumpels an und sagten „He, was ist mit dir, kommst du noch mal vorbei oder ist auf dich geschissen?” Bezogen sich die mutmaßlichen Beschimpfungen von Rechten aus Heilbronn auf tatsächliche Ereignisse, oder auf erfundene Storys und üble Nachrede, oder auf seine Zusammenarbeit mit der „BIG Rex”, die er vermutlich nicht geheimgehalten hatte?
Insofern ist allein auf die Erinnerungen der Familie gestützt nicht zu entscheiden, ob er an diesem 15. September 2013 wirklich einen „Drohanruf” erhielt oder ein anderes Gespräch führte, das ihn zur Verzweiflung brachte. Sein Vater hat hier ausdrücklich nicht spekuliert, und ihm zufolge sagte Florian He. sinngemäß, „Ich kann machen, was ich will. Aus der Scheiße komme ich nicht raus.“ 10 Das kann sich auf alles mögliche bezogen haben, und lediglich die Vorannahme, er werde von Dritten bedroht, macht die Aussage scheinbar eindeutig zu einem Beleg für genau das.
15. September, die Todesnacht
Jedenfalls muss Florian He. an diesem Abend einen Entschluss gefasst haben, denn auf der Fahrt von Eppingen zum Internat in Remshalden kaufte er einen Benzinkanister und betankte ihn mit Superbenzin (die drei Mitfahrer seiner Fahrgemeinschaft bezeugten das später), obwohl sein Auto mit Ethanol fuhr. Dann setzte er die drei Mitschüler an der Schule ab und fuhr wieder weg. Möglicherweise gab es auch Äußerungen von ihm, dass er am Montag nicht oder „nicht mehr” zum Unterricht kommen werde. Da nicht bekannt ist, was er in der Zeit zwischen etwa 22 Uhr und seinem Tod am nächsten Morgen genau getan hat, ist hier viel Raum für Spekulationen über Treffen mit irgendwelchen anderen Personen. Es gibt dafür aber keine Belege, und die Ausgangssituation spricht eher dagegen: Vorbereitungen für einen Suizid, depressive Stimmung, tiefe Nacht… vermutlich fuhr er einfach herum, unterbrochen von gelegentlichen Chats über WhatsApp.
In der Stunde vor Mitternacht wurde er zweimal in Stuttgart mit überhöhter Geschwindigkeit geblitzt, auf dem Foto war keine zweite Person im Auto erkennbar. Um kurz vor Mitternacht schickte er seiner Schwester das Foto eines vor einem Haus geparkten Autos, das er offenbar kurze Zeit vorher gemacht hatte, mutmaßlich in Weinstadt (zwischen Remshalden und Stuttgart). Was es damit auf sich hatte, wurde nicht aufgeklärt, obwohl das Auto letztlich sogar identifiziert und sein Eigentümer vernommen wurde. Gab es überhaupt eine sinnvolle Aussage – war es sein Traumauto, oder wähnte er sich von ihm verfolgt, oder hatte er andere, für uns nicht nachvollziehbare Assoziationen dazu?
Florian He. teilte seiner Freundin Melisa Ma. in äußerst knappen Worten per WhatsApp mit, ihre Beziehung sei beendet; danach änderte er seinen WhatsApp-Status in eine ziemlich depressive und für ihn nach Zeugenaussagen nicht typische Aussage, ein Liedtext von Nena, der auf Leid, Tod und Selbstmord anspielt („Du weißt nicht, was du morgen erlebst, du weißt nicht, ob du morgen noch lebst“). Er hatte im Laufe des Abends auch diverse Nachrichten an seine alte Freundin und Vertraute Yasmin Ma. geschickt, die ebenfalls sehr depressiv und selbstmitleidig wirkten. Die Schule sei ein „Scheißdreck”, er könne es nie jemand recht machen und wisse nicht mehr weiter und wolle nur noch allein sein. Kurze Zeit vorher hatte er sich einem Freund gegenüber auch über seine Familie abfällig geäußert, er warf dieser vor, ihn im Stich gelassen zu haben. Es ist anzunehmen, dass der nächtliche Dialog mit Yasmin Ma. für ihn keine Besserung der Stimmung brachte, vielleicht fielen auch harte Worte (die Textpassagen sind aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes im Bericht der Staatsanwaltschaft geschwärzt).
Nach all diesen düsteren Signalen der Zeit vor Mitternacht verlor sich seine Spur, in diesen Stunden – oder schon vorher – besorgte er sich einen Haufen Medikamente, vor allem Beruhigungsmittel, aber auch starke Betablocker, die er irgendwann am frühen Morgen schluckte. Die spätere Autopsie ergab, dass keine Anzeichen für gewaltsame Zuführung erkennbar war, was angesichts der Brandverletzungen allerdings auch schwer erkennbar gewesen wäre, und dass die Kombination der Medikamente tödlich war. Insbesondere die starke Konzentration von Betablockern deutete nach Meinung eines Mediziners darauf hin, dass der Medikamenten-Cocktail absichtsvoll und mit Fachkenntnis zusammengestellt war, man musste sich vorher mit Wirkungsweise und Dosierung beschäftigt haben.
Florian He. wäre, so war offenbar die Absicht gewesen, eingeschlafen und sein Herz hätte irgendwann zu schlagen aufgehört. Ob nun die Wirkung nicht wie erwartet eintrat und er doch wieder aufwachte, ob er planmäßig kurz vor dem Wegdämmern das Benzin in Brand setzte um den „Erfolg” sicher zu stellen, ist Spekulation. Naheliegend scheint mir die Vermutung, dass auch hier – wie im Falle von Arthur Ch. – die Grausamkeit des Todes einen Aspekt der Bestrafung hat, wobei zum Teil das Gefühl der eigenen Unwertigkeit, des eigenen Versagens vor dem Leben bestraft wird, zum Teil aber auch das soziale Umfeld, die Beziehungspersonen durch den erzeugten Horror dafür bestraft werden, dass sie nicht ausreichend geholfen haben.
16. September, Tod und Verklärung…
Am Morgen des 16. September 2013 war Florian He. tot, und seine Geschichte wurde nun zum Zankapfel zwischen verschiedenen Beteiligten. Zum einen war da die ermittelnde Polizei, die innerhalb kürzester Zeit zu der Einschätzung kam, dass hier ein Selbstmord vorlag, und die aufgrund der Erfahrungen mit einer solchen Situation der Familie erst einmal zubilligte, geschockt, misstrauisch und unkooperativ zu sein. Die weiteren Ermittlungen wurden dann aber nicht ergebnisoffen geführt, sondern standen unter der Prämisse, die Todesursache „Suizid” aktenmäßig zu dokumentieren. Viele nicht unternommene Ermittlungsschritte waren darauf zurückzuführen, dass es eben nur darum ging, eine Todesursache ohne Fremdverschulden zu untersuchen. Dadurch schienen Maßnahmen wie Funkzellenabfragen oder kriminaltechnische Spurensicherung und -analyse entbehrlich. Wenn der ermittlungsführende Staatsanwalt 2015 in seiner – übrigens bemerkenswert arroganten – Aussage vor dem PUA so tut, als habe er überhaupt keinen Spielraum gehabt, die Ermittlungen auszuweiten, ist das selbstverständlich Unsinn. Der Verdacht auf ein Tötungsdelikt hätte sich, wenn gewollt, auch juristisch rechtfertigen lassen. Es war aber nicht gewollt, und das öffnete die Flanke für die spätere massive Kritik an den Ermittlern.
Für die Angehörigen von Florian He., also seine Familie und seine alte Freundin Yasmin Ma., sah die Sache anders aus. Das bürokratische und förmliche Auftreten der Polizisten empfanden sie als kaltschnäuzig. Unter dem Schock des schrecklichen Todes von Florian He. und vermutlich geplagt von eigenen Mit-Schuld-Gefühlen begannen sie sehr schnell, ihre Trauerarbeit in Abwehr und Mystifikation zu verwandeln. Florian He. konnte sich nicht umgebracht haben, es mussten äußere Umstände, fremde Mächte im Spiel sein – und so gesehen war die Herangehensweise der Polizei natürlich unzureichend oder gar verdächtig. Aus dem emotionalen Es-nicht-glauben-können wurde eine Geschichte von Fremdschuld, die anderen erzählt wurde.
Wenn Florian He. im September 2013 durch einen komplizierten, als Suizid getarnten Mord mittels Fernzündung (denn das wäre die einzige spurentechnisch plausible Möglichkeit eines Mordes) an einer Zeugenaussage gehindert hätte werden müssen, so wären dafür eigentlich nur Personen aus dem Umkreis der „Standarte Württemberg” in Frage gekommen, die weitere Aussagen über die eigenen Strukturen gefürchtet hätten. Dass im Nazi-Milieu die Breitschaft zum Fememord an tatsächlichen oder vermeintlichen Verrätern besteht, ist im Prinzip bekannt. Allerdings waren das in der Vergangenheit stets plumpe Gewalttaten, und es ist fraglich, ob bei den in Frage kommenden Verdächtigen die technischen Fähigkeiten für einen solchen Mordanschlag bestanden, einmal ganz davon abgesehen, dass sie von der sehr kurzfristig verabredeten Vernehmung von Florian He. ja erst einmal hätten erfahren und ihren tückischen Mordplan dann innerhalb kürzester Zeit hätten organisieren und umsetzen müssen.
…und Spekulationen
Die Fakten geben für eine solche Geschichte von Mord und Vertuschung nichts her. Es wird zum Beispiel öffentlich viel über ein später im ausgebrannten Fahrzeug von der Familie He. gefundenes Notebook und Mobiltelefon spekuliert. Das Notebook hatte die Polizei gesehen und für irreparabel beschädigt gehalten, was sich später als richtig herausstellte, und das verschmorte Mobiltelefon war offenbar im Brandschutt übersehen worden. Eine spätere Auswertung durch angebliche IT-Experten brachte allem Anschein nach keine Ergebnisse (sonst wären sie wohl auf der Webseite von Prof. Hajo Funke nachzulesen gewesen), also ist hier wohl der Polizei vielleicht Nachlässigkeit vorzuwerfen, aber keine Beweisunterdrückung. Dass bei dem Mobiltelefon eine SIM-Karte fehlte, die scheinbar erst nach dem Brand entfernt wurde, spricht angesichts der Tatsache, dass Familie He. erklärte, das Telefon sei von der Polizei übersehen und erst von ihnen selbst aus dem Auto geborgen worden, nicht gegen die Polizei, sondern gegen die nachträglichen PrivatermittlerInnen.
Auch andere scheinbare Unstimmigkeiten ließen sich später erklären oder boten zumindest keine Ansätze für den Verdacht auf Fremdtäter: Der Kauf des Kanisters samt Benzin durch Florian He. war von Mitfahrern bezeugt worden. Dass Florian He. noch ein Feuerzeug oder Streichholz anzünden konnte, obwohl er einen tödlichen Medikamentenmix im Körper hatte, wurde von einem Mediziner für möglich gehalten. Dass er über Wissen und Zugänge zu den eingenommenen Medikamenten verfügen konnte, lag aufgrund seiner zeitweisen Ausbildung in einem Krankenhaus nahe.
Andere aufgelistete vermeintliche Widersprüche lebten vor allem von der Unterstellung, irgendetwas „könne gar nicht sein”, was natürlich eine rein subjektive Wertung ist und nur solange Gültigkeit hat, bis es dann eben doch der Fall ist: Florian He. könne unmöglich genug Geld für den Benzinkauf gehabt haben (hatte er aber offensichtlich doch); ein Auto könne nicht stundenlang verkehrswidrig geparkt in einer Seitenstraße stehen (selbst in Stuttgart ist das offenbar möglich, wie zahlreiche Zeugen bekundeten); Zeugenbefragungen seien nicht im Stil einer Vernehmung notiert worden (was bei Befragungen am Tatort übliche Praxis ist); im Obduktionsbericht stehe eine falsche Körpergröße (was der Gutachter u. a. damit erklärte, dass der Körper sich unter Brandeinwirkung zusammenziehe); Florian He.s Leiche habe eine verdächtige Körperhaltung gehabt (die sogenannte „Fechterstellung”, die aber für Brandopfer typisch ist), und so weiter. Die kriminalistischen Ermittlungen zum Tod des Florian He. will ich hier nicht weiter im Detail ausbreiten und verweise dafür auf den Abschlussbericht des PUA.
Herbst 2013: Öffentlichkeit, ein zweischneidiges Schwert
Da der Vorfall durch den Abschlussbericht des Bundestags-Untersuchungsausschusses schnell in die Medien kam, dauerte es nicht lange, bis die eingangs erwähnten Verschwörungsprediger sich gierig auf die Angehörigen stürzten und sie in ihren Wahn mit hineinrissen. Leider haben die Angehörigen hier falsche Entscheidungen getroffen: Obwohl sie Erfahrungen im Pflegeberuf hatten, waren sie scheinbar nicht in der Lage, sich fachliche Hilfe in ihrer Notlage zu suchen, sondern warteten vergeblich darauf, dass die Polizei (die der Vater gerade noch des Hauses verwiesen hatte) ihnen eine solche besorgte. Und obwohl sie demgegenüber offenbar gar keine Erfahrungen mit der Medienmaschine hatten, traten sie vertrauensvoll in Kontakt mit allerlei windigen Publizisten, etwa schon im Oktober 2013 mit der rechten Gerüchteschleuder „compact” des Jürgen Elsässer, dem Desinformanten und Fälscher Alexander Gronbach und auch linken „Tiefstaats”-Tauchern à la Wolf Wetzel. Das dürften sie inzwischen bitter bereut haben, und es ist ihnen zu wünschen, dass sie endlich einmal in Ruhe gelassen werden und nicht immer wieder von neuen mehr oder weniger naiven JournalistInnen aufgestöbert werden, die meinen, ganz exklusiv eine tolle Story mit ihnen machen zu können.
Die Suche der Angehörigen von Florian He. nach Indizien, die gegen die offiziellen Ergebnisse ins Feld geführt werden konnten, basierte vor allem auf der Annahme, er sei tatsächlich aus der rechten Szene bedroht worden und sei keinesfalls suizidal gewesen. Aus dem bisher Dargelegten ergibt sich aber die Schwäche dieser Argumente: Die Bedrohungsgeschichten beruhten auf Florian He.s eigenen, alles andere als zuverlässigen Angaben, waren unkonkret, bezogen sich mal auf Rechte, mal auf Kriminelle, und waren kaum zu trennen von seinen allgemeinen psychischen Problemen, die bereits Aspekte eines Borderline-Syndroms aufwiesen – und gleichzeitig wurden diese psychischen Probleme, die durchaus Vorboten eines Suizids sein konnten, von den Angehörigen zumindest nachträglich kleingeredet oder ganz in Abrede gestellt.
„Ich sage immer: In der Familie muss alles stimmen, und dann passt es schon.” (Gerhard He., 9. Sitzung, 2.3.2015)
Übrigens sei der historische Verweis erlaubt, dass dreißig Jahre zuvor 1980/81 die Familie des Münchener Oktoberfest-Attentäters in Donaueschingen eine ähnliche Entwicklung durchlebte. Auch sie konnte die innere Spannung und Diskrepanz zwischen familiären Harmonie-Idealen und tatsächlichen Zerwürfnissen und Unvollkommenheiten, die durch den Tod des Sohnes offengelegt waren, scheinbar nur ertragen, indem sie äußere Schuldige an seinem Tod suchte. Und auch damals spielten sensationsgeile JournalistInnen eine unrühmliche Rolle bei der Verstärkung dieser Entwicklung.
Ende 2013, Geschichten außer Kontrolle
Eine besonders unrühmliche Rolle im ganzen „Heilbronn”-Komplex des NSU spielt Alexander Gronbach, dessen Fälschungen vor allem die Blogs und Debatten im Internet bis heute verseuchen. Gronbach, bei dem schwer zu beurteilen ist, ob er aus finanziellen Interessen oder pathologisch Desinformation verbreitet, begann schon kurze Zeit nach dem 4. November 2011 mit seiner privaten Verschwörungsoffensive. Er bombardierte ab Anfang 2012 intensiv Medien und Ermittlungsbehörden mit Falschinformationen, inszenierte den Medien-Skandal um die V-Frau Petra S. alias „Krokus”, und es entschuldigt ihn in keinster Weise, dass er dies mit dem Ziel tat, Rechtsradikalen damit zu schaden (die rechten Verschwörungsblogs lieferten sich entsprechend auch einen kleinen Info-Krieg mit ihm in ihren Kommentarspalten).
Gronbach, der offenbar schon seit den frühen 1990er Jahren immer wieder als Polizei-Informant in Erscheinung trat und dabei ebenso regelmäßig durch seine Märchen die Polizei in verschiedenen Staaten Europas nervte, sah scheinbar im Skandal um den NSU und in den rasch kursierenden Verschwörungsgeschichten ein dankbares Feld, um sich zu tummeln. Dabei hat er eigene Recherchen mit dem bisschen Insiderwissen, dass seine Lebensgefährtin und Ex-V-Frau Petra S. zum Thema beisteuern konnte, zu relativ geschickt konstruierten Mischungen aus Wahrheit und Fälschung über die rechte Szene verbunden. Ein gutes Beispiel dafür ist das angebliche „Interview” mit Florian He.s Freundin Yasmin Ma. („Bandini”), das er im Internet lancierte und das im Abschlussbericht des PUA in einer Version dokumentiert ist, bei der die Interviewte die nachträglich dazugedichteten Stellen markiert hat. Man kann daran Gronbachs Methode, allgemeine und schlüssige Aussagen mit scheinbar brisanten, aber erfundenen Details anzureichern, gut nachverfolgen.11
Ausgerechnet von diesem Mann erhofften sich die Angehörigen von Florian He. Unterstützung, traten wohl schon 2013 in Kontakt mit ihm – er behauptet von sich, er selbst habe Ende 2013 den Kontakt mit dem späteren Beistand der Familie, Professor Hajo Funke, vermittelt, was aber ebensogut eine weitere Erfindung Gronbachs sein kann –, und im Sommer 2014 kam es sogar zu einer Reise nach Irland, wohin Gronbach sich mittlerweile abgesetzt hatte, nachdem ihm in Deutschland der Boden zu heiß geworden war. Es dürfte kein Zufall sein, dass in angeblichen Äußerungen von Florian He. über Mittäter des Mordanschlags in Heilbronn 2007, die die Familie auch vor dem PUA 2015 wiedergab, nun auf einmal Namen genannt wurden – und zwar ausgerechnet die Namen von Rechtsradikalen, in deren Umfeld die V-Frau Petra S. Informationen gesammelt hatte. Honi soit qui mal y pense!
Nicht nur die plötzliche Erinnerung an Namen, wo vorher angeblich nie welche genannt worden waren, macht die Einflüsterung durch Gronbach deutlich, sondern auch die schlechte Qualität der Erfindungen. Denn die vor allem genannten Personen Neidlein und Brodbeck (NPD-Funktionäre) und Frntic (Blood & Honour-Milieu) sind relativ bekannte Neonazis in Südwestdeutschland, die schon bei einer oberflächlichen Recherche zu der Region auffallen. Hingegen hätte eine wirklich gute Verschwörungs-Fälschung Namen aus dem Bereich der „Standarte Württemberg” präsentieren müssen, bei denen eine Verbindung zu der NSS-NSU-Story des Florian He. herstellbar gewesen wäre. Dieses Detailwissen hatte Gronbach aber nicht und konnte deshalb auch keine Geschichten damit basteln.
Der Anfang 2015 eingesetzte PUA hat all die schmerzhaften Geschichten noch einmal nach oben gespült, und es war für Familie He. sicher schwer zu ertragen, dass ihre Darstellung an etlichen Punkten widerlegt oder zumindest angezweifelt wurde. Leid und persönliche Betroffenheit sind indessen keine Garanten für richtige Erinnerung, geschweige denn für objektive Berichterstattung, das ist bedauerlicherweise schon immer so gewesen (und es wäre schön, wenn sich das auch bei JournalistInnen so nach und nach herumsprechen würde). Aber der PUA hat, das war auf jeden Fall sein Erfolg, viele dieser Geschichten nachvollziehbar und überprüfbar gemacht, hat etlichen Gerüchten und Spekulationen den Boden entzogen.
Ich hoffe sehr, dass Familie He. den nächsten, die da ankommen und eine „Story” mit ihnen machen wollen, kräftig in den Hintern tritt und sie fortjagt. Und dass sie endlich ihren Frieden mit dem verunglückten Lebensweg von Florian He. schließen kann.
Dritter und vierter Todesfall: Melisa Ma. (2015) und Sascha Wi. (2016)
Der Tod von Melisa Ma. am 28. März 2015 und von ihrem Freund Sascha Wi. am 8. Februar 2016 beziehen ihre Brisanz aus der Verbindung zu Florian He.; wenn also bei dessen Selbstmord kein begründeter Verdacht auf eine Beteiligung Dritter übrig bleibt, ist es eigentlich müßig, hier weitere Untersuchungen anzustellen. Der PUA hat dies, zumindest im Fall von Melisa Ma., dennoch getan. Melisa Ma. hatte in den Wochen vor Florian He.s Tod im Sommer 2013 eine kurze Beziehung mit ihm gehabt, und ganz zu Beginn der Ermittlungen hatte die Polizei überlegt, ob er sich aus Liebeskummer umgebracht haben könnte. Es stellte sich aber bald heraus, dass Florian He. selbst die Beziehung in seiner Todesnacht per WhatsApp beendet hatte. Dennoch wurde Melisa Ma. am 2. März 2015 als mögliche Zeugin gehört, sie bekundete jedoch, dass er ihr im Sommer 2013 nichts von Bedeutung zum Thema NSS, NSU oder Mordfall Kiesewetter gesagt habe.
Melisa Ma. gehörte nicht zum Milieu der „Harmonie”, sondern hatte Florian He. an der Schule in Bretten 2012/2013 kennengelernt. Nach Florian He.s Tod zog sie sich schnell von der Familie He. und den weiteren Verwicklungen um den Todesfall zurück. Im Jahr 2015 war sie verlobt mit Sascha Wi., beide waren begeisterte Moto-Cross-Fahrer. Er begleitete sie auch zu dem Termin beim PUA. Da Florian He. kein wirkliches gefährliches Wissen gehabt hatte, hatte er seiner Freundin auch nichts davon erzählen können. Das einzige was sie aussagen konnte, war, dass Florian He. gesagt hatte, er fühle sich bedroht – Paranoia-Geschichten, die ich weiter oben schon diskutiert habe. Melisa Ma. und Sascha Wi. haben am 2. März 2015 nichts ausgesagt, was irgendjemanden hätte gefährlich werden können.
Sie erklärten zwar, sich selbst irgendwie gefährdet zu fühlen. Die Begründung war aber relativ weit hergeholt und zeugt eher davon, dass die beiden wenig Kenntnisse über die Neonazi-Szene hatten: Sascha Wi. hatte früher einmal in einem Mehrfamilienhaus gewohnt, in dem auch ein tatsächlicher oder vermeintlicher Neonazi wohnte, der wiederum mit Worf Kr., dem älteren Skinhead aus der „Harmonie”-Clique von 2011, befreundet gewesen sein soll. Auch dieses Bedrohungsszenario um mehrere Ecken könnte nur dann von Bedeutung sein, wenn Florian He. und Worf Kr. in Beziehung zu gefährlichen Neonazi-Gruppen gestanden hätten. Da das nicht der Fall war, war auch die geschilderte Bedrohung rein subjektiv, so wie sie viele Menschen empfinden, die von Rechtsradikalen nicht viel mehr wissen als dass sie brutal sind.
Drei Wochen nach der Zeugenaussage vor dem PUA hatte Melisa Ma. am 24. März 2015 einen leichten Unfall mit der 250ccm-Geländemaschine von Sascha Wi., wobei sie eine Beinverletzung erlitt. Am Abend ließ sie sich im Krankenhaus ambulant versorgen, wo auch eine Thrombosevorsorge durchgeführt wurde. Einige Tage später verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand deutlich, wie ihr Verlobter Sascha Wi. höchst beunruhigt mitbekam. Es war Wochenende, weshalb sich eine weitere Behandlung verzögerte. Am Samstag den 28. März 2015 starb Melisa Ma. an einer Lungenembolie. Die Todesursache wurde durch eine Autopsie untersucht. Bei späteren Ermittlungen wurde festgestellt, dass das von ihr benutzte Motorrad keine Anzeichen von Manipulationen aufwies und dass ein Blutgerinnsel in Lungenschlagadern nicht künstlich erzeugt werden könne.
Sascha Wi. wurde am 8. Februar 2016, fast ein Jahr später, erhängt in seiner Wohnung aufgefunden, derselben Wohnung, in der Melisa Ma. gestorben war. Zum Todesermittlungsverfahren gibt es verständlicherweise nicht annähernd so viele Details wie zu dem bezüglich Arthur Ch. oder Florian He., denn er spielte für die Aufklärung der Vorgänge von Heilbronn 2007 keine Rolle. Er hatte soweit bekannt nichts mit der rechten Szene zu tun gehabt, hatte keine Informationen aus dritter Hand, hatte nie gesagt, irgendetwas wichtiges zu wissen. Die Polizei teilte mit, sie habe im Rahmen ihrer Untersuchungen Hinweise auf Suizid-Motive gefunden, was aber nicht im Detail veröffentlicht wurde. Dass seine Verlobte nach einem Unfall mit seinem eigenen Motorrad quasi in seinen Armen gestorben war, dürfte durchaus geeignet gewesen sein, depressive Gedanken kurze Zeit vor dem Jahrestag auszulösen…
Aus den Gesamtumständen gibt es jedenfalls keinen Anlass, aus dem Tod von Sascha Wi. irgendeinen verschwörungsaffinen Honig zu saugen.
Der Unfalltod von Melisa Ma. und der Suizid von Sascha Wi. sind mithin keine „mysteriösen Zeugentode”, sie sind weder mysteriös, noch waren die beiden Zeugen. Es waren schlicht tragische Todesfälle, die zufällig in Beziehung zum NSU-Skandal gerieten.
Fünfter Todesfall: Corinna B., geb. ca. 1970, gest. 2. Februar 2017
Nachdem es nun zwischen 2009 und 2016 vier Todesfälle im Raum Heilbronn gab, die nicht mysteriös waren, ist logischerweise auch der fünfte Todesfall nicht Teil einer Serie von mysteriösen Todesfällen. Sechs Wochen später liegen noch nicht genug Informationen vor, um den Fall genauer untersuchen zu können, aber es lassen sich ein paar Ansätze beschreiben.
Corinna B. sollte als Zeugin vor den PUA geladen werden, weil sie Ende der 1990er Jahre zu dem Milieu von Neonazis rund um den 2003 gestorbenen Alkoholiker Michael Ellinger und den zugezogenen Ostdeutschen Marcus Friedel im Raum Ludwigsburg gehört hatte, das Kontakte nach Sachsen und Thüringen unterhielt, darunter auch zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Sie war damals zeitweise die Freundin von Hans-Joachim Schmidt gewesen, der damals „Waffen-Schmidt” genannt wurde, weil er viel mit Waffen hantierte – nach heutiger Darstellung alles nicht schussfähige Deko-Waffen, was eine Grauzone darstellt, denn zum einen sind für rechtsradikale Fetischisten Look-alike-Imitationen schon Anlass genug, feuchte Hände zu bekommen und böse Fotos in Kriegerpose zu machen, zum anderen sind aber viele Deko-Waffen für Fachleute zu scharfen Waffen umrüstbar, sie können auch als „Einstiegsdroge” in ein entsprechendes Händler-Milieu betrachtet werden. Allerdings spricht Schmidts großmäuliger Spitzname eher dafür, dass er nicht wirklich mit scharfen Waffen handelte, denn: The real bad boys walk in silence (Boogie Down Productions).
Später war die verstorbene Zeugin soweit bekannt mit Rico Heise zusammen, einem bis heute aktiven Neonazi aus dem Rechtsrock- und B&H-Milieu um Andreas Graupner, der wie dieser von Chemnitz nach Baden-Württemberg gezogen war. Es ist daher anzunehmen, dass sie identisch ist mit Heike Br. aus dem südlichen Brandenburg und irgendwann ihren Vornamen wechselte.
Die Tatsache, dass sie offenbar schon längere Zeit krank und pflegebedürftig war und dass von ihr bzw. dem ihr zugerechneten Umfeld, über das sie vernommen werden sollte, keine Verbindungen zu Florian He. und dessen Umgebung herzustellen sind, lässt es abwegig erscheinen, dass hier ein „mysteriöser Todesfall” im Rahmen des vermeintlichen massenhaften Zeugensterbens im Ländle vorliegt.
Schluss
Lasst den Toten ihren Frieden. Es gibt kein „mysteriöses Zeugensterben” in Sachen Heilbronn. Es gibt nur den Wunsch der Verschwörungsfans, es möge so sein, damit sie weiter Stoff für ihre Geschichten haben. Leider zeigen die vergangenen Jahre, dass diese Geschichten weiter herumspuken werden in Internet und Medien.
Fußnoten:
1 Sp. war nicht zum ersten Mal im Knast gewesen. Nach dem Mordanschlag 2007 auf der Theresienwiese waren er und sein Bruder von jemandem als Tatverdächtige denunziert worden, sie hatten aber ein Alibi gehabt: Sie waren seinerzeit beide im Knast.
2 9. Sitzung PUA, 2.3.2015
3 PUA-Abschlussbericht, S. 705
4 Die Täuschung funktioniert so gut, dass der Verschwörungsblogger Wolf Wetzel einige Jahre später ein großes Foto dieser Pistole als angeblich scharfer Waffe im Besitz von Florian He. präsentierte.
5 Im PUA wird hier der 2. Dezember 2011 genannt, in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft der 2. und der 18. November 2011. In den Befragungen durch PUA-Mitglieder kommen gelegentlich falsche Datierungen vor, daher ist dort Vorsicht angebracht.