NSU: Beate Zschäpe, eine ordentliche Deutsche

Keine Analyse, sondern eine Kolumne. Ausnahmsweise einmal.

Seit der Verhaftung von Beate Zschäpe im November 2011 habe ich das unangenehme Erlebnis, immer wieder auf der Straße Frauen zu begegnen, die ihr ähnlich sehen. Selbst am Badesee ist sie mir schon quergelaufen. Was macht denn die Zschäpe hier, denke ich für einen Moment entsetzt, haben sie die im Lebensborn geklont? Wie es scheint, bin ich nicht der einzige, der sie an Orten sieht, an denen sie nicht sein kann. Die Polizei hat sicher schon ganze Aktenordner voll mit skurrilen Meldungen über NSU-Sichtungen. Es ist nicht zu leugnen: Beate Zschäpe ist eine moderne Deutsche.

Kaum eine Zeitung verkneift es sich, in der Berichterstattung über den NSU-Prozess in München wenigstens einmal die gepflegte Kleidung von Zschäpe zu erwähnen. Tja – die Deutschen wollen ihr Fressen so billig wie möglich bei Lidl abfassen, aber sie ziehen sich gerne aufwändig an und wollen etwas darstellen. In keinem Land der Welt wird soviel Kleidung so teuer verkauft wie in Deutschland. Von wegen „mehr sein als scheinen“, wie die alten Preußen sich einstmals heuchlerisch auf die Fahnen schrieben. Das Gegenteil ist der Fall: Ob die Krätze dich zerfrisst, ist egal, wenn nur die Klamotten stimmen. Die NSUler gingen shoppen, wenn sie gerade mal nicht einen Mord vorbereiteten, und füllten sich die Schränke mit Textilien. Schon dadurch weist jeder Auftritt Zschäpes vor Gericht sie als typische Deutsche aus (und die Medienkommentare über ihr Aussehen passen dazu wie Arsch auf Eimer).

Aber nicht nur das war typisch deutsch an der Neonazigruppe. Der NSU war auch eine Manifestation jener spezifisch deutschen Perversion, der es nicht genügt, den eigenen Selbsthass gewalttätig gegen andere abzureagieren, sondern die dies mit bösartiger Gründlichkeit und zwanghafter Planung tut. Der NSU hat den heimlichen Traum des angstvollen deutschen Spießers in die Realität umgesetzt: Es „denen“ mal ordentlich zu zeigen. „Denen“, die erreichbar und besiegbar sind als Angriffsziele. Ordentlich in jeder Hinsicht.

Kleine Banalität des Bösen

Ob Zschäpe nun an den Taten selbst direkt beteiligt war oder nicht, sie gibt jetzt diesem Traum ein Gesicht.

Sie ist eine normale Deutsche, denn sie ist ganz und gar nicht deutsch, ursprünglich als Tochter eines rumänischen Vaters, nunmehr mit einem adoptierten Nachnamen slawischen Ursprungs (Zschäpe geht auf den Namen Czepan, Stefan, zurück). Die Hysterie des deutschen Nationalismus speist sich eben auch aus dem unterdrückten Bewusstsein, dass Deutschland ein Schmelztiegel und Durchzugsland ist, dass alle „rein arischen“ Familienstammbäume von Nazis und Neonazis Fantasieprodukte sind.

Sie mag es gemütlich, wie sie bis zum Überdruss bewiesen hat: Während, beispielsweise, Bonnie und Clyde einst wild und gefährlich lebten, tat Diddlmaus Zschäpe scheinbar alles, um das Leben ihrer Gruppe im Untergrund so langweilig und spießig wie möglich zu gestalten. Wen würde es überraschen, wenn sie den beiden Uwes, wenn diese sich mal wieder auf Mordexkursion begaben, einen Einkaufszettel mitgegeben und zum Abschied „fahrt vorsichtig“ gesagt hätte?

Sie wurde stets ungerecht behandelt. Im Interview Ende der 1990er Jahre ebenso wie im Knast-Brief 2013 bringt sie das zum Ausdruck. Immer sind alle gegen sie, nicht sie hat versagt, sondern die Welt. Das gab ihr das Recht, zurückzuschlagen.

Kurzum: Beate Zschäpe steht geradezu symbolisch für die bittere Redewendung, wonach in Deutschland zuerst die Gemütlichkeit kommt, dann das Selbstmitleid, dann der Pogrom.

Lehren aus dem NSU??

Sind wir zwei Jahre nach Auffliegen des NSU „klüger“ geworden? Ich bezweifle es. So schrecklich die Mordanschläge waren, das mächtigere dahinter liegende Problem ist die Tatsache, dass zumindest zehn Prozent der Bevölkerung rechtsradikale Einstellungen haben, dass die drei Neoanzis jahrelang in einer Nachbarschaft leben konnten, die vermutlich heute die Hausdurchsuchung bei Familie Eminger schlimmer findet als die Morde an Dunkelhaarigen mit unpassendem Nachnamen.

Auch das nachträgliche Entsetzen macht Deutschland kaum widerstandsfähiger gegen rechte Gewalt. Das Aufklären der Details wird nicht dazu beitragen, diese Gewalt an sich entscheidend einzudämmen, sondern bestenfalls einzelne Akteure kaltstellen oder abschrecken. Immerhin, das ist auch schon etwas wert.

Der Staat benötigte den NSU weder als Alibi für verschärfte Sicherheitsgesetze noch als Begleitmusik für eigene rassistische Politik, denn es gab zu Beginn der 2000er Jahre keine Legitimationskrise in dieser Hinsicht. Staatsterrorismus gegen Flüchtlinge und Einwanderer heißt damals wie heute nicht NSU, sondern FRONTEX. Die Eruptionen rechtsradikaler Gewalt sind älter und reichen tiefer als der bundesdeutsche Staatsapparat. Sie müssen nicht inszeniert werden, sondern kommen von selbst, und nicht eigentlich aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft, sondern aus deren Reptiliengehirn.

Neonazis sind keine Gefährdung für den Staat – das sehen die Sicherheitsbehörden ganz richtig, auch wenn es dort zur Zeit nicht laut gesagt werden darf. Denn Neonazis wollen nichts lieber sein als Teil des Staatsapparates, behütet und verantwortungslos. Erlebte die Staatsbürokratie nicht im Nationalsozialismus eine bis heute nachwirkende Blütezeit?

Die enttäuschte Liebe des NSU zu seinen unwilligen staatlichen Verfolgern beziehungsweise deren Auftaggebern, dem deutschen Volke, spiegelt sich in den Auftritten der Angeklagten vor Gericht: In menschelnder Pose und in trotzigem Schweigen.

Rückblick: Die sechs Hypothesen von 2012

Ein Nachtrag noch. Vor fast eineinhalb Jahren stellte ich sechs Hypothesen zum NSU zur Diskussion, mit der Einschränkung: Sie sind notwendigerweise vorläufig und bedürfen der Weiterentwicklung und gegebenenfalls Korrektur, wenn neue Erkenntnisse auftauchen. Seitdem sind viele Erkenntnisse aufgetaucht, allerdings meist nur im Detail. Ich würde nach heutigem Erkenntnisstand alle sechs Hypothesen praktisch unverändert stehen lassen.

Eine der Thesen würde ich heute, im Licht der bekannt gewordenen Details, sogar noch zuspitzen: Der NSU war längst nicht so „professionell“ wie oft behauptet wird. Der „Erfolg“ dieser Zelle war im wesentlichen die Blindheit ihrer Gegner. Die Gruppe machte Fehler, aus denen sie in aller Ruhe lernen konnte, weil es kaum Verfolgungsdruck gab, oder die aus Zufall keine Folgen hatten. Ihre konspirative Qualität lag zwar über der anderer rechter Gruppen, hätte aber keineswegs ausgereicht, wenn gegen sie mit gleicher Intensität ermittelt worden wäre wie gegen linke militante Gruppen. Das zeigt sich schon daran, wie viele Spuren die Ermittler selbst jetzt noch, Jahre später, finden. Wer nichts weiss über militante Organisierung und Repression, mag beeindruckt sein von der angeblichen Professionalität des NSU. Linke sollten sich davon nicht blenden lassen und nicht am Mythos mitstricken.

Die aktuell staatlich verfolgten Nazis bilden die Terrorzellen von morgen.