Braune Scheine: Die Finanzen des NSU

Die ungefähre Geschichte der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) von 1998 bis 2011 ist schon in zahlreichen Veröffentlichungen nachgezeichnet worden. Relativ wenig beachtet wurde dabei bisher die Frage der finanziellen Verhältnisse.

Die Ermittlungsbehörden interessierten sich für die Finanzen des NSU vor allem unter dem Aspekt, ob dadurch weitere Personen als UnterstützerInnen des NSU erkennbar würden: Etwa durch Geldspenden an das Trio, oder weil anhand von Kontoverbindungen Mitwisserschaft anzunehmen sein könnte. Diese Finanzermittlungen waren umfangreich, aber nicht sehr ergiebig. Sie belasteten zwar einige wenige Personen aus dem engsten Umfeld des Trios, brachten aber darüber hinaus keine neuen Spuren. Nachdem das BKA zu dem Ergebnis kam, dass der NSU von dem bei Überfällen erbeuteten Geld leben konnte, also keine finanzielle Hilfe von außen benötigte, wurde hier offenbar nicht weiter nachgeforscht.1

Aus antifaschistischer Sicht ist aber auch die umgekehrte Frage interessant: Was haben die NSU-Mitglieder mit dem Geld gemacht? Haben sie etwa durch Geldspenden eine materiell bedeutsame Rolle in der Neonazi-Szene gespielt? Dazu will ich im folgenden ein paar Überlegungen und spekulative Berechnungen anstellen, die – das sei vorweggenommen – zuletzt zu dem Ergebnis führen werden, dass das sehr wahrscheinlich nicht der Fall war.

BKA-ERMITTLUNGEN

Das BKA hat in seinen Finanzermittlungen für die Anklage der Bundesanwaltschaft nur sichere oder nahezu sicher nachweisbare Einnahmen und Ausgaben aufgelistet. Außerdem wurde daraus ein Durchschnitt für den gesamten Zeitraum ermittelt. Die Berechnungen des BKA ergeben Einnahmen von insgesamt rund 538.000 €2 (wobei der Überfall vom 4.11.2011 in Eisenach natürlich ausgespart bleibt), wovon knapp 42.000 € noch in bar sichergestellt wurden im November 20113. Die nachträglich belegbaren Ausgaben betrugen demgegenüber nur etwa 178.500 €. Daraus ergibt sich eine Differenz von rund 318.000 €, was bei einer Zeit im Untergrund von 165 Monaten monatliche Durchschnittsausgaben von mehr als 1900 € bedeutet. Damit ist zwar nachgewiesen, dass der NSU sich selbst versorgen konnte und nicht auf Hilfe von außen angewiesen war. Doch da die ungeklärte Summe der Ausgaben (318.000 €) die geklärte Summe (178.500 €) bei weitem übersteigt, ist daraus kein lebensnahes Bild über die tatsächliche Verwendung des Geldes zu erreichen. Und die Frage scheint naheliegend, ob bei einem so hohen Überschuss der NSU vielleicht tatsächlich ein wichtiger Geldgeber für die Neonazi-Szene gewesen sein könnte.

Es versteht sich, dass eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung des NSU nur ganz ungefähre Zahlen liefern kann. Es gibt einfach zu viele unbekannte Größen, und obwohl zumindest in den letzten Jahren des NSU die Buchhaltung – vermutlich durch Beate Zschäpe – ziemlich penibel war und selbst fünf Jahre alte Rechnungen aufgehoben wurden, wäre es wohl selbst den Beteiligten kaum möglich, einen Zeitraum von über zehn Jahren genau nachzuzeichnen.

Durchschnittszahlen über 10 Jahre helfen hier nicht weiter: Die Einnahmen durch die Raubüberfälle waren unregelmäßig und verschieden hoch. Und die Ausgaben veränderten sich ebenfalls im Laufe der Zeit. Dabei ist auch zu berücksichtigen, wie sich das Leben in der Illegalität auf das Ausgabeverhalten auswirkte und was für ein „Konsumtyp“ die drei Untergetauchten waren.

WAS KOSTET DIE ILLEGALITÄT?

Ich habe versucht, mich dem Thema unter folgenden Prämissen zu nähern.:

A) Leben im Untergrund

Das Leben im Untergrund ist grundsätzlich teurer als das in der Legalität. Es gibt zwar auch einige Faktoren, die die Kosten vermindern: Man vermeidet bestimmte Gelegenheiten, Veranstaltungen, Reisen, um kein unnötiges Risiko einzugehen, und verbringt auch mal viel Zeit tatenlos zu Hause. Zudem zwingt einen die unsichere Existenz zur genaueren Planung von Ausgaben und zum Anlegen von Sicherheitsreserven.

Doch insgesamt überwiegen kostensteigernde Einflüsse. Wo immer möglich, wird bar bezahlt, was oft teurer ist. Immer wieder fallen spontane Ausgaben an, und man wählt nicht das billigste, sondern das sicherste Angebot. Es gibt Treffen in Lokalen und Reisen aus logistischen Gründen, und es wird Geld für die eigene Absicherung ausgegeben. Der Stress, unter dem man steht, und die freie Zeit (da meist keine Lohnarbeit gemacht wird) führt zu Ausgleichskonsum. Das wird auch befördert durch das nach den Überfällen plötzlich vorhandene viele Bargeld.

Daher sind Lebenshaltungs- und Konsumkosten insgesamt tendenziell etwas höher einzuschätzen als sie für die betreffenden Personen unter normalen Umständen wären.

B) Konsumtyp

Die Lebensweise des Trios im Untergrund war keine große Maskerade, sondern orientierte sich an dem, was die drei kannten. Sie kamen nicht aus besonders wohlhabenden Verhältnissen, und sie setzten ihren zeitweiligen Wohlstand dementsprechend nicht in Luxusbedürfnisse der Oberklasse um. Ihren Urlaub verbrachten sie beim Camping, ihre Mietwagen waren so gut wie nie größer als Mittelklasse, meistens kleiner. Geld gaben sie aus für „standesgemäße“ sportliche Klamotten und Elektronik, also im klassischen H&M-MediaMarkt-Segment. Das heißt, sie kauften zwar mehr und teurer als früher (z. B. schicke Fahrräder und gute Computer), aber nicht wirklich anders. Spätestens nach dem erfolgreichen Doppelüberfall in Chemnitz im Mai 2004 war die Kasse gut gefüllt, und es gab keinen Grund, übermäßig sparsam zu sein. Dieses Konsumverhalten verbanden sie vermutlich auch mit dem „Waschen“ des Beutegeldes, indem sie Computerspiel-Zubehör mit 500-Euro-Scheinen bezahlten.

C) Ausgabenlogik

Bestimmte Ausgaben lassen sich über die Monate hochrechnen, zum Beispiel Lebenshaltungskosten. Andere bleiben sehr spekulativ: Gab es sie, wenn ja wann und in welcher Höhe? Hier kann nur mit Lebensnähe argumentiert werden, etwa bei der Frage, ob Notreserven angelegt wurden. Nur Zschäpe kann sagen, ob sie Sicherheitsdepots für schlechte Zeiten angelegt hat und wie viel Geld darin lag. Die spekulativen Ausgaben sind in der Gesamtsumme so hoch, dass sie letztlich den gesamten Überschuss ausmachen könnten, oder auch nur einen Bruchteil davon. Dennoch meine ich zeigen zu können, dass trotz solcher Unwägbarkeiten eine ungefähre Abschätzung möglich ist. Durch einen Vergleich der notwendigen Ausgaben und der maximalen Geldbestände ist zumindest eine annähernde Kurve der NSU-Finanzen darstellbar. Der Kassenstand konnte zudem nicht im Minus sein (außer in der Anfangszeit 1998, als man von geliehenem Geld lebte), was zumindest eine Obergrenze der Ausgaben definiert.

WELCHE AUSGABEN UND EINNAHMEN GAB ES?

Die einfachere Rechnung ist die der Einnahmen. Die Raubüberfälle von Dezember 1998 bis September 2011 erbrachten rund 537.000 €, dazu kommen ein paar Beträge aus der Anfangszeit: Verkauf des „Spieles“ Pogromly, private Gelder etwa von Familie Böhnhardt, von H. Gerlach und R. Wohlleben, Spenden aus der Neonazi-Szene, insgesamt wohl kaum mehr als 8000 €. Ich gehe davon aus, dass es vor dem offiziell ersten Raubüberfall (Supermarkt in Chemnitz, 18.12.1998) bereits im Spätsommer 1998 einen Raub mit geringer Beute gegeben haben muss: Zum einen hatte eine Quelle des LfV Thüringen Mitte September 1998 mitgeteilt, das Trio plane wegen seiner Geldsorgen einen „weiteren Überfall“4, zum anderen ergeben meine Berechnungen für das Jahr 1998 ein so hohes Minus, dass es durch die mageren Spenden aus der rechten Szene kaum auszugleichen gewesen sein dürfte. Als Gesamteinnahme bis November 2011 lege ich daher eine Summe von knapp 548.000 € zugrunde. Dies steht unter dem Vorbehalt, dass das BKA bei der Untersuchung ungeklärter Raubüberfälle ausnahmsweise einmal keinen Mist gebaut hat und abgesehen von dem ersten, kleinen Raub keinen weiteren Überfall übersehen hat.5

Nun zu den Ausgaben. Ich habe hier Schätzungen stets eher vorsichtig angesetzt.

* Relativ leicht nachzuvollziehen waren die Mietzahlungen für die diversen Wohnungen ab September 1998. Sie betrugen laut BKA insgesamt rund 99.000 €.

* Des weiteren ließen sich die Ausgaben für Unterkunft bei den Urlaubsfahrten größtenteils nachvollziehen. Für fünf bekannte Reisen ab 2004 fehlen Belege, aus Dauer und Örtlichkeiten lassen sich aber Rückschlüsse ziehen; ich habe hier 1500 € angesetzt. Daraus ergeben sich Gesamtkosten für Urlaubs-Unterkünfte von etwas über 20.000 €.

* Ein dritter großer Posten waren Auto-Anmietungen. Ab 2004 standen dafür gute Papiere zur Verfügung (Reisepass und Führerschein von Holger Gerlach), und es konnten vom BKA im Nachhinein dutzende von Mietvorgängen nachvollzogen werden. Bei einigen vorherigen Raubüberfällen waren Autos durch André Eminger angemietet worden. Doch auch die Mordanschläge von 2000/2001 und die damit verbundenen Ausspähungen dürften kaum mit der Bahn gemacht worden sein. Es ist also gut möglich, dass es eine weitere, bisher unbekannte Personalie gegeben hat, unter der das Trio zeitweise Fahrzeuge angemietet hat. Die Nachforschungen der Ermittlungsbehörden in dieser Richtung waren aufwändig, aber offenbar lückenhaft. So wurden zwar Caravan-Vermietungen in Thüringen abgegrast und deren Unterlagen aus den Jahren seit 2001 nach mehr als 30 bekannten Alias-Namen des Trios durchsucht, und die vom NSU bevorzugte Pkw-Vermietung St. in Zwickau wurde ebenfalls gründlich überprüft, jeweils ohne Ergebnis für die Zeit vor 2004. Doch bei einer Abfrage aller Autovermietungen in Zwickau und der großen fünf Firmen (Sixt, Avis etc.) für den Raum Thüringen/Sachsen wurde nur nach dem Namen Gerlach gefragt, obwohl dem BKA bekannt war, dass dieser seinen Führerschein erst 2004 zur Verfügung gestellt hatte, die Abfrage also für die Zeit davor ergebnislos ausfallen musste. In ganz anderen Ermittlungsverfahren hat sich das BKA da schon fantasievoller gezeigt: Als 2006 vermeintlich militante linke GlobalisierungskritikerInnen überwacht wurden, wurden von der Polizei bundesweit Autovermietungen abgefragt, und zwar nicht nur nach den Namen aller Beschuldigten, sondern auch nach allen konkret verdächtigen Miet-Zeiträumen.

Die erwähnte bevorzugte Autovermietung St. in Zwickau hatte übrigens 2001 über mehrere Monate einen teuren Pkw an den Zwickauer Neonazi Ralf „Manole“ Marschner vermietet für seine Baufirma, die bald danach pleite ging. Marschner war damals noch eine große Nummer in der lokalen Blood&Honour-Szene. Im Jahr 2001 beging der NSU von Zwickau aus drei Morde (Nürnberg, Hamburg, München). Über weitere Nachforschungen des BKA zu Marschner und seinem „Bau-Service“ ist mir nichts bekannt.

Zu den bekannten Auto-Mieten (29.000 €) rechne ich für 2001-2003 hypothetisch noch einmal rund 3500 € hinzu, zusammen also rund 32.500 €.

* Nun zu einem großen und schwer einzuschätzenden Posten: Dem privaten Konsum. Ich habe zwei Modellrechnungen angestellt. In der einen habe ich versucht, die Lebenshaltungskosten von der angenommenen speziellen Situation des Trios her zu schätzen, als Ausgangsbasis habe ich die bekanntlich sehr knappen Regelsätze nach Sozialgesetzbuch6 zugrunde gelegt und bin davon ausgegangen, dass diese in der Anfangszeit noch unterschritten wurden, dann eine Weile zutrafen und nach den ersten erfolgreichen Überfällen nach und nach immer deutlicher überstiegen wurden. In einer anderen, großzügigeren Rechnung habe ich für die Zeit ab Mai 2004 (erfolgreicher Doppelüberfall Chemnitz) die durchschnittlichen Konsumausgaben eines Drei-Personen-Haushaltes gemäß der Erhebungen des Statistischen Bundesamtes zugrunde gelegt7, für die Zeit davor einen deutlich niedrigeren Näherungswert.

Dass die Ausgaben des Trios zumindest in seinen letzten Jahren nicht unerheblich waren, ergibt sich schon aus den im Brandschutt der Frühlingsstr. sichergestellten Rechnungen über Luxusartikel, darunter viel Freizeit-Elektronik (Computer-Spiel-Zubehör etc.), oder auch aus Zeugenaussagen, wonach das Trio im Urlaub eintausend Euro für Surf-Ausrüstung bar auf den Tisch legte. Für Fahrräder wurden mindestens 7000 € ausgegeben. Auch für Kleidung wurde einiges aufgewendet. Dazu kommen Kosten für Umzüge und Wohnungseinrichtung und so weiter.

Die beiden Modellrechnungen unterscheiden sich im Endergebnis nur um einige tausend Euro. Über die gesamte Zeit ergeben sich daraus gemittelt Konsumausgaben von rund 220.000 € (was rund 1300 € pro Monat entspricht, für drei Personen wahrlich kein übertrieben luxuriöses Leben).

* Schließlich gibt es noch die Waffen. Über die Herkunft der 20 gefundenen Schusswaffen konnte nicht viel herausgefunden werden, folglich auch nicht über die Kosten für Waffen und Munition. Es konnte auch nicht nachgewiesen werden, welche Waffen bei welchen Überfällen verwendet wurden und ob es vielleicht weitere Waffen gegeben hat, die 2011 nicht mehr vorhanden waren. Einige der gefundenen Waffen waren nicht viel wert: Schreckschusspistolen oder Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg, was dafür spricht, dass der NSU nicht ohne weiteres Waffen wegwarf. Einige waren auch recht neu, und illegal gekaufte Waffen sind normalerweise nicht billiger als legal erworbene. Durch einen Abgleich mit den im Jahr 2013 aktuellen Preisen – soweit ermittelbar -, einem hypothetischen Aufschlag für Schwarzmarktpreise und vermutete eher niedrige Preise für veraltete Modelle habe ich für Bewaffnung Ausgaben in Höhe von knapp 9000 € angesetzt.

* Zu den Ausgaben ist der Vollständigkeit halber auch das tatsächlich nicht ausgegebene, aber im November 2011 noch beim NSU vorhandene Bargeld in Höhe von fast 42.000 € zu rechnen.

Die Gesamtsumme bis hierher beträgt rund 422.000 €. Das Verhältnis zwischen nachvollziehbaren und ungeklärten Ausgaben hat sich somit mehr als umgekehrt. Der verbleibende Rest, über den zu diskutieren ist, beträgt noch 126.000 €.

In der Aufzählung fehlen noch einige Ausgaben, die sich nicht einmal schätzungsweise beziffern lassen:

* Bahnfahrten. Bahnreisen an sich sind für Illegale in Deutschland (solange sie Weiße sind) bedeutend sicherer als Autofahrten, da es fast nie Ausweiskontrollen gibt und die Gefahr von Unfällen und Pannen nicht besteht. Doch der NSU hatte eigentlich spätestens 2004 genug Geld, um auch ohne Bahncard per Erster Klasse zu reisen. Wofür das Trio Bahncards brauchte, ist nicht völlig geklärt. Immerhin bedeuteten diese einen logistischen Aufwand (Name, Foto, teils Kontozahlung) und damit ein Entdeckungsrisiko. Möglicherweise fühlten sie sich so sicher, dass sie dieses Risiko vernachlässigten, oder sie benutzten die Bahncards als Not-Ausweise, um sie vorzuzeigen, wenn sie ihre Ausweise nicht verwenden wollten. Vielleicht ist es noch banaler und sie wollten einfach nur so komplett wie möglich ausgestattet sein, weil sie das cool fanden.
Es ist zu vermuten, dass die Ausspähungen und Aktionen mit Autos durchgeführt wurden, um flexibel und unabhängig zu sein, während Bahnfahrten für unvorhergesehene Fälle (Flucht) und für geplante „friedliche“ Reisen genutzt wurden. Solche Reisen könnten zum Beispiel Besuche bei Neonazis in anderen Städten gewesen sein, ob nun privat oder auch zur Strategiebesprechung.
Dafür eine Summe zu errechnen scheint mir zu spekulativ, ein niedriger vierstelliger Betrag ist aber gut vorstellbar.8

* Depots. Bereits 2000 hatte das Trio nach den ersten erfolgreichen Überfällen rund 10.000 € bei Wohlleben und H. Gerlach deponiert für den Notfall9. Es erscheint logisch, nicht alles Bargeld in der Wohnung aufzubewahren, wenn man völlig auf dieses Geld angewiesen ist und nicht weiß, wann man neues bekommt. Dies gilt gerade dann wenn das Geld, wie es beim NSU offenbar war, nicht mit vollen Händen ausgegeben wird, sondern penibel verwaltet wird. Ein Einbruch oder ein Wohnungsbrand würde die gesamte Existenz gefährden. Eine solche Rücklage kann versteckt oder vergraben werden, eventuell auch im Bankschließfach gelagert (was aber schon etwas riskanter ist) oder bei vertrauenswürdigen Kameraden gelassen werden (wobei dem Trio wohl schon seit 1999 klar war, dass es solche Kameraden fast gar nicht gibt, spätestens wenn es um Geld geht). Aber wie viel haben sie beiseite gelegt? 20.000 €, 50.000 €, 75.000 €? So wahrscheinlich ein oder mehrere Depots sind, so ungewiss ist die Summe darin.

* Private Sonderfälle. Dazu gehören zum Beispiel Krankheiten oder Notfälle, von denen bisher nichts bekannt ist. Vielleicht gab es auch Unterstützungen privater Natur für andere Personen – was nicht allzu wahrscheinlich erscheint, immerhin waren selbst die nächsten Kontaktleute des Trios, Susann und André Eminger, 2011 durch ein Darlehen mit 20.000 € verschuldet, was sie sicher gerne vermieden hätten wenn es möglich gewesen wäre.

* Fehlinvestitionen, Betrügereien, Verluste an Sachen, Verschleiß, Unfälle, in der Frühlingsstraße verbranntes Geld. Auch das eine völlig hypothetische Größe.

BILANZ

Die berechneten Ausgaben von 422.000 € lassen sich anhand der beschriebenen Kriterien monatlich auflisten. Diese Tabelle zeigt, dass in den ersten Jahren ein Raubüberfall pro Jahr reichte, um das Überleben zu sichern und die Kasse im einigermaßen sicheren Bereich von über 15.000 € zu halten. Daraus ergibt sich auch, dass die Ausgaben zumindest in den ersten Jahren nicht sehr viel höher gewesen sein können als hier angenommen, da sonst der Kassenstand zu niedrig würde.

Etwa zeitgleich mit der Wiederaufnahme der Aktionen 2004 gab es zwei sehr erfolgreiche Überfälle, die zu einem Zwischenhoch von weit über 100.000 € führten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürften Sicherheitsdepots abgezweigt worden sein.

Den eigentlichen „Jackpot“ bildeten die Überfälle in Stralsund (Ende 2006 und Anfang 2007), durch die über 250.000 € in die Kasse kamen. Finanziell war der NSU nun auf Jahre saniert – dennoch folgte nur noch eine Aktion (der Mord in Heilbronn im April 2007), und in den folgenden Jahren wurde das in Stralsund erbeutete Geld komplett privat verbraucht. Trotzdem dürfte auch 2011 noch so viel Geld in der Kasse gewesen sein, dass die Überfälle in Arnstadt und Eisenach wohl eigentlich nicht unbedingt snötig gewesen wären.

Die Tatsache, dass der NSU bei nachlassendem Aktionismus über immer mehr Geld verfügte, lässt sich verschieden interpretieren: Als Hinweis auf weitere, bisher unerkannte Machenschaften, oder auch als Zeichen der Dekadenz, als mit dem offensichtlichen Fehlschlagen der eigenen politischen Strategie das private Wohlergehen immer mehr in den Vordergrund trat.

Wie erwähnt, basiert dies alles auf einer konservativ gerechneten Ausgabenpolitik.

WAS KONNTE DER NSU SPENDEN?

Stellen wir nun die Gegenfrage: Welche Mittel hatte der NSU zur Verfügung, um andere Neonazis finanziell zu unterstützen?

Die bisherige Rechnung hat einen ungeklärten Betrag von 126.000 € hinterlassen, von dem wie erwähnt noch diverse Ausgaben in ungewisser Höhe abzurechnen sind, z. B. Bahnreisen, Sicherheitsdepots, Verluste, unerwartete Ausgaben. Es erscheint mir nicht allzu gewagt, zumindest die Hälfte des Betrages dafür anzusetzen. Dann bleiben noch etwa 60.000 € übrig, die der NSU insgesamt über die Jahre hätte verteilen können.

Bis Sommer 2001 war vermutlich zu wenig Geld vorhanden, um mehr zu tun als Schulden zurückzuzahlen.

Zwischen August 2001 und Mai 2004 war die Kasse gut, aber nicht übermäßig gefüllt, und eine Gesamtspendensumme von 15.000 € für diese Zeit, in der es ja durchaus noch verbündete Zellen gegeben haben kann, scheint das Maximum zu sein. In diese Zeit fallen auch die bekannt gewordenen Geldspenden an die Neonazi-Zeitschriften „Der Weisse Wolf“ und (mutmaßlich) „Der Fahnenträger“10, die ich in meiner Berechnung mit je 2500 € veranschlagt habe.

Ab Mai 2004 war die Kassenlage so gut, dass an sich deutlich höhere Spenden möglich gewesen wären. Aus der unterstellten Gesamtsumme von 60.000 € ergeben sich aber auch für diese Jahre keine höheren Jahresbeträge (restliche 45.000 € auf 7,5 Jahre verteilt).

Für die elf Jahre 2001-2011 ist also von einem maximalen jährlichen Spendenaufkommen von rund 5000 € auszugehen. Da ich jedoch ziemlich sicher bin, eher zu niedrige Ausgaben geschätzt zu haben, würde ich die möglichen Geldspenden des NSU an die Neonazi-Szene auf deutlich unter 5000 € im Jahr schätzen. Die bekannten Zahlungen von 2002 dürften demnach nicht die Spitze eines Eisbergs darstellen, sondern in etwa das maximale Jahresbudget. Auch wenn das eine nicht völlig zu ignorierende Summe ist, ist doch festzustellen, dass die Zahlungen des Verfassungsschutzes an die Neonazi-Szene in Form von V-Mann-Prämien um ein Vielfaches höher lagen.

Ich ziehe daher den Schluss, dass der NSU für die Neonazi-Szene sehr wahrscheinlich keine bedeutende Rolle als Geldgeber gespielt hat.

NSU_Kurve
Bild: Hypothetischer Verlauf der NSU-Kasse 1998-2011

Fußnoten

1Einzuschränken ist hier, dass ich von der Ermittlungslage zur Vorbereitung der Anklage im Frühjahr 2013 ausgehe. Wie der Bundesanwalt Diemer am 26.11.2013 treffend bemerkte, schließt dies weitere, bisher geheim gehaltene Ermittlungen des BKA im Komplex NSU selbstverständlich nicht aus.

2Alle Beträge sind hier in Euro angegeben, DM-Beträge sind umgerechnet

3In der ausgebrannten Wohnung in Zwickau wurden nur knapp 2000 € gefunden, es könnte dort natürlich auch bedeutend mehr Bargeld gewesen sein, das verbrannt ist.

4Vgl. Gutachten der „Schäfer-Kommission“ vom 14.05.2012, u.a. S.158

5Übrigens lag die durchschnittliche Beute pro Raubüberfall über dem statistischen Durchschnitt für Banküberfälle, was aber lediglich dem außergewöhnlich erfolgreichen Raub vom Januar 2007 zu verdanken ist

6ALG2 („Hartz IV“) bw. vor dessen Einführung Sozialhilfe

7Nur Konsumausgaben, keine sonstigen Ausgaben (Steuern, Versicherungen etc.)

8Im Warenkorb des Statistischen Bundesamtes (vgl. Lebenshaltungskosten Modellrechnung zwei) sind für Reisekosten 2% der Haushaltsausgaben eingeplant, was mir in diesem Fall zu niedrig erscheint

9So sagte es Holger Gerlach jedenfalls aus; das Geld an Wohlleben könnte im Prinzip auch ein Ausgleich für seine finanzielle Unterstützung 1998 gewesen sein

10Die Ermittler fanden zumindest Briefe an beide Zeitschriften beim NSU, auch wenn nur bei David Petereit vom „Weissen Wolf“ ein entsprechendes Gegenstück gefunden wurde

9 Gedanken zu „Braune Scheine: Die Finanzen des NSU

  1. Ergänzung aufgrund einer Nachfrage:

    * Bei der Geldsumme im Wohnmobil muss das in Eisenach erbeutete Geld abgezogen werden, um die NSU-Ausgaben zu berechnen (es sei denn, es wurde mithilfe einer im Wohnmobil versteckten Zeitmaschine vorher ausgegeben). Die Summe aus Eisenach ist selbstverständlich auch bei der Berechnung der erbeuteten Gesamtsumme aus Überfällen nicht berücksichtigt.

    * Was das FDP-Sondervotum (BT-UA Abschlussbericht Seite 901 ff.) und darauf gestützte Meldungen angeht: Dieses Votum ist fehlerhaft. Zum einen haben die Finanzexperten von der FDP gefundene Banderolen mit gefundenen Banknoten verwechselt, weshalb sie den Bargeldbetrag in der Zwickauer Brandruine grotesk überschätzen. Ohne diese spezielle FDP-Rechenmethode schrumpft der gefundene Geldbetrag wieder auf die von mir angenommene Größenordnung. Vielleicht ein ganz neuer Erklärungsansatz für die Welt-Finanzkrise…!?
    Auch die Annahme von 60.000 Euro Kosten für Fahrzeugmieten scheint mir spekulativ weit übertrieben.

    So long, TLC

  2. Einen großen Dissenz sehe ich hier auch nicht. Nur eine Einschätzungsfrage. BKA Präsident Zierke äußerte ebenfalls Zweifel am Daueraufenthalt des Trios in der Frühlingsstraße:
    “ Wie der MDR Info berichtet, geht der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Zirke, von einer weiteren Wohnung aus, die von der Terrorzelle “NSU” benutzt wurde. Das sagte der BKA-Präsident auf einer Fachtagung im bayerischen Wildbad Kreuth. Indizien dafür seien fehlende Spuren von Männerkleidung sowie der für drei Personen geringe Wasserverbrauch in der angemieteten Zwickauer Wohnung.“
    Interessant ist in diesem Zusammenhang noch, das es vier Schlafplätze mit Fernsehern in der Frühlingstraße gab. Es wurde offensichtlich ein Gästeplatz vorgehalten. (Prozess 15. Verhandlungstag, 25.06.2013) Bezeugt sind ja auch Betreuungszeiten für Kinder, entweder der Jungen von den Emingers, oder des Mädchens von Gerlachs Frau. Die Anmietungen des Campingplatzes am Wulfener Hals an der Ostsee erfolgten übrigens auch immer für vier Personen.
    Die Befragung der Nachbarn vor dem Oberlandesgericht am 56. Verhandlungstag zur Situation in der Polenzstraße ergab Widersprüchliches. Erneut wurde von Zeugen angeführt, dass die Männer häufig über längere Zeiten abwesend waren. Ein Zeuge will Mundlos „nur einmal gesehen haben, den anderen nie“ , ein anderer die beiden nur als „Besuch“ wahrgenommen haben, ein weiterer sagt, sie wären „ab und zu mal gekommen und dann wieder weg gewesen“. Während eine weitere Zeugin ihre dauerhafte Anwesenheit im Wesentlichen bestätigt.
    Auffällig ist, dass es hier vermehrt zu größeren Diskrepanzen kommt zwischen den polizeilichen Vernehmungen im Vorfeld und den Aussagen vor Gericht. Die Zeugen, einer nach dem anderen, sagen aus, so wie es in den Akten steht, hätten sie das nicht gesagt. Hm.

    • Was den Campingplatz auf Fehmarn angeht, weißt du scheinbar mehr als ich, jedenfalls ist mir von „immer“ (= 2007-2011) nichts bekannt. Ich weiß nur, dass es 2008 und 2011 jeweils Abrechnungen über 4 Personen gab. Allerdings sagten die Zeugen dazu aus, dass real nur 3 Personen da waren und dass zumindest 2008 die „vierte Person“ ein Besucher der Zeugen selbst (also des Nachbar-Stellplatzes) war, der aus formalen Gründen auf dem Platz des Trios mitgebucht wurde.

      • Das kann sein. Was ist aber davon zu halten, dass es zumindest zweimal der Fall war? Die anderen Campingurlauber müssen nicht zwangsläufug etwas mitbekommen haben von Treffen mit anderen Personen.

      • …von Treffen sicher nicht, aber die Kontakte mit den Nachbarn waren so eng (siehe deren Zeugenaussagen gerade im Prozess), dass sie längere Gastspiele einer vierten Person wohl mitbekommen hätten. In Frage gekommen für solche „offiziellen“ Besuche wären wohl auch nur diejenigen Personen aus dem NSU-Umfeld, die schon bekannt sind (Gerlach, Emingers etc.), während andere Treffen doch eher in sicherem Abstand gemacht worden sein dürften (ein bisschen konspirativ war das Trio ja dann doch unterwegs). Daher bezweifle ich eher, dass diese „4-Personen“-Buchungen Erkenntnisgewinne bringen.

      • ok, das stimmt. Aufgefallen ist mir noch, dass sich B&B den Campingbekanntschaften 2007 als „Max“ und „Gerry“ vorgestellt haben. Da waren die Straftaten von Böhnhardt noch nicht verjährt. Den Anwohnern der Frühlingsstraße hat er sich nach deren Aussagen vor Gericht jedoch als „Uwe“ vorgestellt. Und a pro pos Buchungen: Es hat den Anschein, als habe tatsächlich Holger Gerlach selbst das letzte Fahrzeug im Oktober 2011 angemietet, in Begleitung seiner Partnerin und deren Tochter. Aus dem Protokoll des 54. Verhandlungstages lässt sich kaum etwas anderes schließen. Der Vermieter hat nicht Böhnhardt erkannt, sondern Gerlach. Laut einer Mitarbeiterin der Vermietung sei es ein ziemlichen Hin und Her um die Abholung gewesen, die für den 21. vorgesehen war, aber erst am 25. erfolgte. Diejenige Kollegin, die das Mädchen gesehen hat und auch wohl das “ Fahrzeug mit auswärtigem Kennzeichen“ ist jedoch nicht geladen. Dennoch ordnen beide Zeugen das Paar aufgrund der Sprechweise eher dem norddeutschen Bereich zu. Unklar bleibt die telefonische Verlängerung der Mietdauer. Zunächst heißt es, ein Mann, der sich mit Gerlach vorgestellt habe, hätte am 02.11. um zwei Tage Verlängerung gebeten. Später heißt es, bis zum 07.11. An das Wohnmobil wurde eine Überwachungskamera angebracht.
        Und wohl auch um diese Zeit am Haus. Prozessberichterstattung in der „Welt“:
        „Ein hochspannendes Detail überrascht: L. präsentiert eine Außenaufnahme des Hauses in der Frühlingsstraße. Das Bauordnungsamt der Stadt Zwickau hatte es am 24. Oktober 2011 gemacht – also genau zehn Tage vor dem Feuer. Das Erstaunliche: Zu diesem Zeitpunkt hingen zumindest an den Fenstern Richtung Frühlingsstraße noch keine Blumenkästen – und also auch keine Kameras! Die müssten demnach also erst unmittelbar vor dem Selbstmord der Uwes und der Brandstiftung am 4. November 2011 montiert worden sein. Das war bisher nicht bekannt. Was hatte das Trio aufgeschreckt?“
        Eigentlich müsste das Gericht wegen der Anmietung doch den Zeugen fragen, ob er Gerlach im Saal erkennt. Und auch nochmal bei Gerlach nachfragen, wie das denn nun gewesen sei.

      • 1. Die Ermittlungen der Polizei ergaben, soweit mir bekannt, folgendes:
        – Holger Gerlach hat für den Tag der Anmietung des Wohnmobils (25.10.2011) ein Alibi, er war bei einem Strafprozess in Hannover als Besucher, was Zeugen bestätigten.
        – Darüber hinaus wurde das WoMo mit dem Führerschein angemietet, den er Böhnhardt zur Verfügung gestellt hatte (und nicht mit dem, den Gerlach bei sich führte).
        – Gerlach und Böhnhardt sehen sich im Gesicht ähnlich (und Lichtbildvorlagen wurden überwiegend mit Porträtfotos gemacht). Im November 2011 wurde Gerlach von dem Zeugen Mario K. (bei nsu-watch fälschlich als Marco K. bezeichnet) auf Fotos aber nicht als Anmieter erkannt.
        – Zur Aussprache der Anmieter gibt es widersprüchliche Angaben (hochdeutsch, norddeutsch, thüringisch, regionaler Akzent).
        – Die Freundin von Gerlach ähnelt überhaupt nicht den Beschreibungen von der Frau, die bei der Anmietung dabei war (anderes Alter, andere Haarfarbe, andere Größe), und bei der Fotovorlage haben zwei Zeugen auf Zschäpe getippt (und z.B. auch nicht auf Susann Eminger, die eher als Begleiterin in Frage käme).
        – Die Tochter von Gerlachs Freundin ist 12 und nicht 7-8 Jahre alt wie das beschriebene Kind.
        – Und schließlich: Die Mietdauer wurde am 3.11. telefonisch verlängert, und vielleicht gibt es da Erinnerungsabweichungen bei den Zeugen um wieviele Tage es ging – aber ist das wichtig?

        Das Protokoll des 54. Verhandlungstages ist viel zu ungenau, um dieses Gesamtergebnis an irgendeiner Stelle ernsthaft in Frage stellen zu können. Daher ist diese Spekulation zur WoMo-Anmietung m.E. Zeitverschwendung.

        2. Der Bericht in der „Welt“ vom 25.06.2013 ist, wie oft bei dieser Postille, mehr falsch als richtig:
        – Von den 4 aufgefundenen Kameras war nur eine an der Seite zur Frühlingsstraße angebracht, der Plural ist also unangebracht;
        – diese Kamera befand sich, bevor Ende Oktober 2011 der Blumenkasten angebracht wurde, auf der Fensterbank auf der Innenseite des Fensters (von dieser Kamera gemachte Aufnahmen wurden in der Wohnung gefunden). Sie wurde also nicht, wie die „Welt“ falsch schlussfolgert, erst nach dem 24.10.2011 montiert, sondern lediglich umgesetzt.
        Also einmal mehr gilt: Die Medien legen mindestens so viele falsche Fährten im Fall NSU wie der VS, und man sollte sich vor vorschnellen Urteilen hüten.

  3. Es mag angesichts der aufgefundenen Reserven tatsächlich verwundern, warum eigentlich der NSU im November 2011 auf Beschaffungsraubtour geht. Andreas Förster beschreibt eine schon zum Teil geräumte Wohnung in der Frühlingsstraße in Zwickau, in der sich keine Medikamente, Kosmetika, Lebensmittel oder Kleidungsstücke für Frauen befanden. Auch wenig Kleidungsstücke für Männer, fast ausschliesslich in Böhnhardts Größe. Es könnte also ein Wohnungswechsel in Betracht gezogen worden sein. Die Drei wurden misstrauisch gegen ihr Umfeld oder wen auch immer, installierten Überwachungskameras. Es hatte eine Einbruchserie in der Nachbarschaft gegeben, mehr Polizeipräsenz war in der Straße wohl deutlich spürbar. Die mögliche Entscheidung für eine Veränderung der Wohnsituation könnte in der Gruppe kontrovers diskutiert worden sein. Auch eine Trennung von Böhnhardt und Zschäpe als Paar könnte als Auslöser für so etwas in Betracht kommen. Um deren künftig getrennte Wohnsituation finanziell abzusichern, würde ein Banküberfall Sinn machen. Die hier dargelegte Finanzierungsgeschichte des Trios geht davon aus, dass die Drei tatsächlich immer zusammengewohnt haben. Das halte ich nicht für lebensnah oder realistisch. Zschäpe war die Ex von Mundlos und die Partnerin von Böhnhardt. Nur in einer Zeit des Fahndungsdrucks und außergewöhlicher Umstände kann ein Zusammenleben angesichts dieser Tatsachen von den Betreffenden in Kauf genommen werden. So schnell es irgend geht, würden sie eine Veränderung dieser Lage herbeiführen. Und dazu gibt es auch Hinweise. So schreibt der Blog Lichtstadt, Inside NSU, im Teil 1
    „Deshalb ziehen sie ein gutes Jahr nach ihrem Untertauchen an den südwestlichen Rand von Chemnitz in die Plattenbausiedlung „Hutholz“. In der ersten Etage eines sechsstöckigen Häuserblocks in der Wolgograder Allee 76 mieten sie ab dem 16.04.1999 eine 2-Raum-Wohnung; den Mietvertrag unterschreibt André Em*ng*r / AE, ein anderer Bekannter von MS. AE und MS kennen sich aus der rechtsradikalen „Brigade Ost“, die sich an der tschechischen Grenze gebildet hat und beide sind wiederum mit Matthias Dienelt / MD befreundet, der wenige Monate später im nahegelegenen Zwickau eine weitere Wohnung für BMZ anmieten wird; AE und MD kommen beide aus Zwickau…..“
    Wenige Monate später. Ein Beleg dazu fehlt, auch die Adresse. Aber wenn das der Wahrheit entspräche, hätten wir es schon ab dem Frühjahr 1999 mit einer zweiten Unterkunft zu tun. In Zwickau. Das würde natürlich die Kosten für das Leben im Untergrund erheblich erhöhen. Logisch wäre es, denn soll sich Uwe Mundlos allabendlich eine Schlafstatt auf dem Wohnzimmersofa eingerichtet haben, um durch die Wand Ohrenzeuge des Liebesspiels seiner Ex- Gefährtin im Schlafzimmer zu werden?
    Vielleicht wurden aber nicht alle konspirativen Wohnungen des NSU durch M. Dienelt angemietet.
    Dazu nochmals der Blog Lichtstadt, der vielleicht nicht vorbehaltlos als seriöse Quelle gelten kann, aber Zugang zu Kennern der Szene hat. :
    „…Durch die Polizeiaktion in höchstem Maße beunruhigt, entschließt sich M(undlos) zu einem Wechsel der Stadt. Mit dem Reisepass von Max-Florian Bu(rghardt). mietet er im Juli 2000 in einem Wohnblock der Zwickauer Heisenbergstraße eine Wohnung, deren Mietvertrag später im Schutt der ausgebrannten Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße gefunden wird.“
    Wenn man also annimmt, dass über den größten Zeitraum noch ein weiterer Unterschlupf finanziert werden musste, muss über das Finanzierungskonzept des NSU noch einmal neu nachgedacht werden.
    Auch die von Matthias Dienelt in der Polenzstraße 2 in Zwickau Anfang 2001 angemietete Wohnung verfügte zwar über 77 Quatratmeter, war aber dennoch nur eine „Zweiraumwohnung“. Andreas Förster spekulierte über eine weitere Unterkunft in Glauchau, ca. 20 km von Zwickau entfernt. Die beiden Uwes seien dort Stammkunden bei einem Fahrradladen gewesen. Warum hätten sie das sein sollen, 20 km von Zwickau entfernt? Beate Zschäpe tätigte dort am 5.11.2011 während ihrer Flucht mindestens ein Telefonat aus einer Telefonzelle. Und am 7.11. 2011 brannte dort ein Dachstuhl in einem zum Teil entmieteten Haus, wobei die Feuerwehr von „Unmengen an Müll“ behindert wurde. Die Polizei vor Ort hat anscheinend wirklich versucht, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie sind mit Fotos von Z, B&B durch die Straßen gegangen und haben Leute befragt. Dabei ist offiziell nichts herausgekommen.
    Ganz generell möchte ich festhalten, dass eine zweite Unterkunft zu den Berechnungen der Ausgaben des Trios wahrscheinlich hinzuzuziehen ist. Auf die kostspieligsten Laster der Durchschnittsdeutschen haben die beiden männlichen Mitglieder jedoch augenscheinlich verzichtet: Rauchen, Trinken, Autofahren.

    • Im Prinzip kann ich mir auch gut vorstellen, dass es zumindest zeitweise weitere Örtlichkeiten gab. Wie betont, betrachte ich die von mir spekulierten Ausgaben des NSU eher als Untergrenze. Ich persönlich vermute, dass die tatsächlichen Ausgaben insgesamt deutlich höher lagen und es deshalb vermutlich eher ganz wenige oder gar keine weiteren Spenden an die rechte Szene gab.

      Was die genannten Adressen angeht, ist die zeitliche Reihenfolge allerdings weitgehend geklärt, kurzfristige Überschneidungen habe ich mit eingerechnet bei den Mietsummen:
      * Von September 1998 bis Ende April 1999 wohnte das Trio in der Altchemnitzer Str. 12 in Chemnitz.
      * Von Mitte April 1999 bis Ende August 2000 gab es die Wohnung in der Wolgograder Allee 76 in Chemnitz.
      * Im Juli/August 2000 erfolgte der Umzug nach Zwickau in die Heisenbergstr. 6, wo das Trio bis Mai 2001 lebte. Hier fiel den Ermittlern im Nachhinein der für 3 Personen unpassend niedrige Stromverbrauch auf.
      * Von Mai 2001 bis Ende April 2008 (also die wichtigste Zeit) wohnte das Trio in der Polenzstr. 2 in Zwickau.
      * Im März/April 2008 dann der Umzug in die Frühlingsstr. 26.
      Diese Daten sind anhand der Mietverträge etc. gut nachvollziehbar gewesen. Übrigens wurde der Mietvertrag für die deutlich teurere Frühlingsstraße kurze Zeit nach dem ersten „Jackpot“ von Stralsund (Ende 2006) abgeschlossen.

      Bei der angeblichen zweiten Zwickauer Wohnungsanmietung durch Dienelt dürfte es sich wohl um eine Vermischung der verschiedenen Adressen handeln – es haben schon manche den Überblick verloren in den vielen Details, und die Angaben in dem zitierten Blog „Lichtstadt“ stammen offenbar aus einer später überarbeiteten Version der Ermittlungsergebnisse bzw. Anklageschrift und sind nicht unbesehen zu übernehmen, manche Details – etwa zu einzelnen Auto-Anmietungen – sind auch völlig ungesicherte Vermutungen, soweit ich es beurteilen kann.
      Dienelt wurde zur Anmietung der Polenzstr. und der Frühlingsstr. herangezogen, also in der Tat für zwei Wohnungen, nur eben nicht 1999 und 2001, sondern 2001 und 2008. Es müsste in dem zitierten Blog also heißen „zwei Jahre später“ anstatt „wenige Monate später“, dann stimmt die Rechnung.

      Ein längerfristiges Zusammenbleiben des Trios trotz aller eventuellen persönlichen Turbulenzen betrachte ich, halten zu Gnaden, durchaus als lebensnah angesichts der außergewöhnlichen Lebensumstände. Aber das ist m. E. kein wichtiger Dissens.

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