Heinz Lembke, 1981: „Werwolf” oder „Gladiator”?

Ich beschäftige mich in drei Teilen mit Heinz Lembke, den 1981 bei ihm entdeckten Waffendepots und dem möglichen Zusammenhang mit der geheimen Stay-Behind-Organisation der NATO-Staaten: Wer war Heinz Lembke? Was machte er in den 1970er Jahren in der Lüneburger Heide, wie und warum entstanden seine Depots? Was ist die Geschichte der Stay-Behind-Organisation (SBO) in der Bundesrepublik, und gibt es eine Verbindung zwischen Lembke und der SBO?

1981-Lembke-Tassen-WebBild: Cellesche Zeitung, 10.11.1981

Wie schon bei meinen früheren Untersuchungen zum Themenkomplex ist der folgende Text sehr umfangreich geworden. Er kann hier als PDF heruntergeladen werden: 2014 Heinz Lembke (Anm.: Den Text habe ich im Oktober 2014 noch einmal korrekturgelesen, aber inhaltlich nicht verändert, mit einer kleinen Ausnahme auf Seite 47: Peter Naumann wurde wegen der 1995 von ihm offenbarten Waffendepots verurteilt, wie nachzutragen war).

Kurze Zusammenfassung:

Lembke und die Depots
* Heinz Lembke war aktiver Neonazi, und es ist davon auszugehen, dass er die Depots tatsächlich selbst angelegt hat.
* Der Inhalt der Depots spricht eher dafür, dass das Material unsystematisch gesammelt wurde.
* Die uneinheitliche Zusammensetzung der Depots passt schlecht zu einem organisierten militärischen Kriegseinsatz für Kommandogruppen à la Stay Behind: Zu wenige Schusswaffen, falsche Munition, teils unvollständige und nicht einsatzfähige Kampfmittel, fehlende Bestandteile.
* Die Ereignisse im Herbst 1981 (Auffinden der Depots, Selbstmord von Lembke) lassen sich nur schlecht mit einem Stay-Behind-Zusammenhang vereinbaren.
* Es sind keine Indizien für einen Zusammenhang mit dem Oktoberfest-Attentat erkennbar.

Stay-Behind-Organisation
* Stay Behind ist ein militärisches Konzept, das die Westalliierten unmittelbar von der deutschen Wehrmacht und dem NS-Regime übernahmen und weiterentwickelten.
* Die Stay-Behind-Organisation spielte zu der Zeit, als die Depots vermutlich angelegt wurden (ab 1977), keine bedeutende militärische Rolle mehr in der NATO-Kriegsplanung.
* Lembkes Material könnte von Stay Behind stammen, aber wohl eher indem es gestohlen/abgezweigt wurde.

 

Einleitung und Inhaltsverzeichnis:

Durch den Spielfilm Der blinde Fleck ist das Thema Oktoberfest-Attentat 1980 wieder stärker in den öffentlichen Blickpunkt gerückt. Nicht zuletzt die lauter werdenden Zweifel, ob die rechtsradikale Wehrsportgruppe Hoffmann wirklich mit dem Münchener Bombenanschlag in Verbindung zu bringen ist, lenken das Interesse auf eine zweite Hypothese, nämlich einen möglichen geheimdienstlichen Hintergrund des Anschlags, mutmaßlich in Person von Angehörigen des Stay-Behind-Netzwerks. Doch dabei ist Vorsicht geboten, allzu schnell kann ein öffentlicher Mythos durch einen anderen ersetzt werden.

Wenn vom Oktoberfest-Attentat in Verbindung mit der Stay-Behind-Organisation die Rede ist, taucht üblicherweise sofort der Name Heinz Lembke auf. Die 1981 entdeckten Waffendepots von Lembke sind in dieser Angelegenheit das nahezu einzige Indiz, bei dem nicht allein über Meinungen und Spekulationen zu diskutieren ist, sondern zumindest ein paar Tatsachen die Debatte bereichern können. Um so bedauerlicher ist, dass die Veröffentlichungen zum Thema seit dreißig Jahren einen immer gleichen Kanon von Stereotypen und Mutmaßungen wiederholen. KennerInnen der Materie können die Beiträge inzwischen fast mitsprechen, deren Informationsgehalt nahezu nie über die knappe und teilweise falsche Darstellung bei wikipedia hinausgeht. Aktuelle Beispiele dafür sind eine TV-Dokumentation von Ulrich Stoll im ZDF vom 25.03.2014 und ein völlig verunglücktes »Streitgespräch« zwischen dem Schweizer Publizisten Daniele Ganser und dem Rechtsradikalen Karl-Heinz Hoffmann in dem rechtsintellektuellen Online-Magazin Compact vom 20.02.2014.

Im günstigsten Fall reiten dabei die Ritter der Aufklärung mit quergelegter Lanze zum Tjost. Mit anderen Worten: Mangels eindeutiger Indizien wird durch die Vermischung von Fakten, Behauptungen, Spekulationen und Fehldeutungen ein allgemeiner Verdacht in den Raum gestellt, der hoffentlich irgendwie sein Ziel trifft bevor er durch Gegenargumente aus dem Sattel gehoben wird. Und wer gar nicht mehr weiter weiß, zieht den Joker und raunt von »bestens vernetzten« Neonazis. Das ist gut gemeint, aber deswegen noch lange nicht gut, sondern Grund genug, das Thema etwas gründlicher zu behandeln. Ich habe mich schon früher zu dem Fall Lembke geäußert, im März 2013 (Gladio / Stay Behind – wieviel Verschwörung ist dabei) und in meiner längeren Untersuchung im Januar 2014 (Oktoberfest-Attentat 1980 – Eine Revision). Meine dortige Darstellung bedarf keiner inhaltlichen Korrektur, auch wenn einige Details zu verbessern und vor allem viele Einzelheiten nachzutragen sind. Daher nun also Vorhang auf für die Geschichte aus dem Oechtringer Forst, soweit sie sich nachzeichnen lässt. Ich beschäftige mich zuerst mit den Geschehnissen, wie sie ohne Berücksichtigung der SBO-Hypothese zu beschreiben sind, und versuche im Anschluss daran zu beurteilen, ob und wenn ja welche Rolle die SBO dabei gespielt haben könnte.

 

Inhaltsverzeichnis

Einleitung
Teil 1: Heinz Lembke – Neonazi, „Werwolf”?
1.1 Heinz Lembkes Lebensweg
Lembke beim BVJ
Ankunft in Oechtringen: Lüneburger Heide, NPD und BHJ
Die 1970er Jahre und die Liebe zum Militärischen
Heimattreue Jugend (BHJ) ab 1974
1.2 Die 70er Jahre: Von der Radikalisierung zu den Depots
Die Quelle beginnt zu sprudeln: Munitions-Delaborierungswerk Dragahn
Öffentliche Aktivitäten Mitte der 1970er
Die Technische Notgemeinschaft
Radikalisierung am rechten Rand
Naumanns Arbeitsproben: Die Anschläge 1978/79
Das Depotsystem in seiner endgültigen Form
Verzeichnis der Inhalte der Depots
Versuch einer Bewertung der gelagerten Materialien
Die Deutschen Aktionsgruppen treffen Lembke
1.3 Herbst 1981: Der Untergang
Der Selbstmord
Die weiteren Ermittlungen
Einstellung des Verfahrens 1982/83
Verbindung zum Oktoberfestattentat in München 1980?
Was für ein Mensch war Heinz Lembke?
Ein Epilog: Peter Naumann und Heinrich Becker
Lembke als Werwolf
Teil 2: Die Stay-Behind-Organisation
2.1 Die Gründung der Stay-Behind-Organisation
Gansers Forschungsarbeit 2001
Verwirrung um die Struktur: NATO, Einzelstaaten, Geheimdienste…?
2.2 Die SBO – eine Fortführung des Nazi-Werwolfs
Wer hat’s erfunden? Die deutsche Wehrmacht!
Guerilla-Träume von Gehlen & Co.
Der Technische Dienst läuft aus dem Ruder (1952)
2.3 Die »Strategie der Spannung« in Italien 1969-1974
Der rechte Terror der Nuclei Armati Rivoluzionari
Strage di Bologna: Der Anschlag 1980
2.4 Der Kalte Krieg und die Strategie des Westens
Die NATO in der Vorwärtsverteidigung
Die 1970er Jahre: Rückbauen oder Abtauchen?
Was wussten MfS und KGB über Stay Behind?
Teil 3: Heinz Lembke – Depotverwalter, „Gladiator”?
3.1 Lembkes Profil als Stay-Behind-Agent: Unstimmigkeiten
Hat der BND mal wieder geschlafen?
Keine Hinweise in MfS-Akten
»Guter Leumund« von Neonazi-Kameraden
3.2 Lembkes Depots: Unstimmigkeiten
Die SBO-Depots in Deutschland
Die Gladio-Depots in Italien
Eine Einschätzung von Lembkes Depots aus Österreich
Zeitliche Anlage der Depots und MfS-Funkortung
3.3 Zusammenfassung der Argumente
Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft
Die andere Hypothese
Eher Werwolf als Gladiator…
Quellen

werwolf