Zwei Kurzrezensionen: „Heimatschutz“ und „Geheimsache NSU“

Die Kritik an den populären Verschwörungstheorien rund um den NSU, die ich seit 2012 hier auf meiner (eher wenig gelesenen) Webseite und in analyse&kritik veröffentliche – zum Beispiel hier – hat sich leider als weitgehend wirkungslos erwiesen, wie mir scheint. Das Gefühl von „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass…“ ist mächtiger: Es lässt die Leute nicht etwa an der eigenen Vorstellungskraft zweifeln, sondern an den Informationen, die nicht zu ihrer Vorstellung passen.
Deshalb habe ich in letzter Zeit nicht mehr so viel meiner Freizeit für Recherchen geopfert.

Zwei Bücher zum Thema, die kürzlich erschienen sind, sind aber eine kurze Erwähnung wert: Zum einen „Heimatschutz“ von Stefan Aust und Dirk Laabs, zum anderen „Geheimsache NSU“, herausgegeben von Andreas Förster.
Die Bücher stehen auch stellvertretend für zwei verschiedene Perspektiven auf den Fall NSU. Während „Heimatschutz“ einen im großen und ganzen aufgeklärten Fall mit zahlreichen Unstimmigkeiten und unbeantworteten Fragen nachzeichnet, präsentiert „Geheimsache NSU“ eine unaufgeklärte, von planvoller Vertuschung gezeichnete Geschichte.

Es liegt nahe, bei einem von Stefan Aust mitverantworteten Buch zuerst einmal misstrauisch zu sein. Dies weniger vor dem Hintergrund seiner journalistischen Tätigkeit zum Thema RAF, denn obwohl er über viele Jahre von Linken als „Staatsschutzjournalist“ betrachtet wurde, ist zumindest eines festzuhalten: Der Tod der RAF-Gefangenen im Oktober 1977 war auf Selbstmord zurückzuführen, nicht auf staatliche Exekution – an diesem Punkt hat nicht Aust gelogen, sondern leider die radikale Linke. Nein, in Sachen NSU spricht gegen Aust, dass er als Herausgeber der Zeitung „Die Welt“ verantwortlich zeichnet für deren äußert schludrige Berichterstattung zum Thema NSU, für Artikel voller Fehler und Spekulationen.

Dies kann dem Buch „Heimatschutz“ aber absolut nicht nachgesagt werden. Es ist eine sehr akribisch nachgezeichnete Studie des neonazistischen Milieus seit den 1990er Jahren, die erkennbar auf gründlicher Quellenrecherche beruht. Dass es kein Sachregister und kein Quellenverzeichnis gibt (allerdings einen sehr umfangreichen Apparat an Fußnoten), wird den Autoren zurecht angekreidet. Doch das Vorhandensein der Quellen ist offensichtlich, und in vielen Fällen liegt auf der Hand, dass die Darstellung sich auf Ermittlungsakten stützt, die offiziell nicht verwendet und daher auch nicht im Detail benannt werden dürfen.

Das Buch enthält, so weit ich es beurteilen kann, nur sehr wenige sachliche Fehler, die von geringer Bedeutung sind.
Störend ist gelegentlich der ins flapsig-journalistisch verrutschende Stil, aber auch da habe ich in Sachen NSU schon weitaus schlimmeres gelesen.
In „Heimatschutz“ wird weder verschwiegen noch bagatellisiert, dass es in Sachen NSU noch einige Dunkelfelder gibt und zwar einige, aber nicht alle Unklarheiten erklärt werden können durch Inkompetenz der Behörden und Zufälle. Doch es werden dazu fast keine eigenen Hypothesen aufgestellt (ein paar rhetorische Fragen und Andeutungen gibt es schon).
Fazit: Für alle, die sich umfassend und sachlich informieren wollen, ist „Heimatschutz“ das geeignete Buch zum Thema NSU.

Sehr viel kritischer sehe ich „Geheimsache NSU“. Da hier 15 recht unterschiedliche Texte von 10 verschiedenen AutorInnen versammelt sind, ist es schwer, ein Gesamturteil zu bilden. Doch da zumindest einige der Texte sehr problematisch sind und ohne genauere Hintergrundkenntnisse zu falschen Schlüssen verleiten können, würde ich das Buch nur denjenigen empfehlen, die die Materie bereits sehr genau kennen. Auch hier finde ich mich unverhofft wieder in schlechter Gesellschaft, diesmal nicht von Stefan Aust, sondern von Armin Pfahl-Traughber, einem Autoren aus Kreisen des Verfassungsschutzes, der in seiner Rezension des Buches zu einem ähnlichen Ergebnis kommt.

Insbesondere die Autoren Thomas Moser und Rainer Nübel, deren Beiträge immerhin ein Drittel des Buches ausmachen, gefallen sich mehr in der Pose des investigativen Journalisten, als wirklich aufzuklären. Sie eilen von Indiz zu Indiz, reihen diejenigen aneinander, die ihrer These dienlich sind, und ignorieren andere, nicht dazu passende oder sogar widersprechende Informationen. Moser mischt sowohl in seinem Beitrag zum Kasseler Mord (bei dem der Verfassungsschutz-Beamte Temme höchstwahrscheinlich vor Ort war), als auch beim Mord in Heilbronn (Kiesewetter) Fakten, Vermutungen, aber auch sachlich falsche Darstellungen zu einem Verdachtsbrei, der schwer verdaulich ist. Nübel, der 2011 im „Stern“ die nicht gerade wasserdichte Geschichte vom US-Geheimdienst am Tatort Heilbronn platzierte, ärgert sich wortreich über Journalisten der taz, die ihn seinerzeit in einem Artikel mit seinen eigenen Mitteln schlugen, wozu etwa suggestive Fragestellungen zählen.

Ich mache mir hier nicht die Mühe einer detaillierten Behandlung dieser Texte und der darin enthaltenen Fehler, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass das nichts nützt. Meine ausführlichen Überlegungen zum Fall Temme etwa bewirken bei denen, die der großen Verschwörung auf der Spur sind, im allgemeinen lediglich, dass sie auch mich als Verfassungsschutz-Agenten verdächtigen. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen“ ist stärker als jedes Argument.

Ich möchte nur abschließend ein paar meines Erachtens typische Anzeichen auflisten, die dabei helfen können, fragwürdige Texte (nicht nur) in Sachen NSU-Aufarbeitung zu erkennen:
* Wishful Thinking: Zuerst steht das Ergebnis im Raum, dann werden die dazu passenden Indizien selektiert. Sowohl widersprechende Indizien als auch mögliche andere Erklärungen für belastende Indizien werden ignoriert.
* Fehlender Abgleich mit der Realität: Ist eine Handlung, eine Information in ihrem Kontext passend, lebensnah, logisch, oder nicht? Dazu müsste die Perspektive gewechselt werden, denn was einem Neonazi logisch erscheint, muss einem investigativen Journalisten noch lange nicht einleuchten.
* Falsche Einschätzung der Fähigkeiten und Ressourcen von Beteiligten. Auch hier schlägt gnadenlos die eigene Vorstellungskraft zu. Wer kennt schon die Lebensrealität von Neonazis oder des Verfassungsschutzes genau genug, um beurteilen zu können, was die können oder nicht können? Viele JournalistInnen scheinen zu glauben, nur weil sie selbst etwas nicht können, kann das auch sonst niemand (z. B. unerkannt illegal in Deutschland leben), erwarten aber gleichzeitig, dass jeder Beamte beim Verfassungsschutz einen jungen Skinhead aus Thüringen über Jahre mit Bild und Namen kennen müsste…
* Suggestive Stilmittel. So werden eigene Spekulationen in Fragerhetorik verkleidet („Könnte es nicht auch so gewesen sein?“ – „Hat vielleicht X mit Y gesprochen?“), oder es werden inhaltliche Wertungen in Nebensätzen verborgen (wenn z. B. eine Zeugenaussage je nach eigener Bewertung mit „er gibt zu“ oder „er behauptet“ eingeführt wird).
* Vermischung von Behauptungen und Fakten, ohne das kenntlich zu machen. Oft in einem Satz oder einem Zusammenhang, der sich beim Lesen nicht ohne weiteres trennen lässt.
* Unscharfe Beschreibungen, Verallgemeinerungen, Verwandlung von Einzahl in Plural.

Allen die solche Texte gründlich lesen, empfehle ich als Parallel-Lektüre das Buch von Daniel Kahnemann: „Schnelles Denken – langsames Denken“ (2011), aus dem sich so einiges über die Grenzen und Determinierungen der eigenen Wahrnehmung lernen lässt.