Das KIBITZ-Netz: Kalter Krieg in der Pfalz

Zusammenfassung

Ende 1948 begann die Zentrale des Office of Special Operations (OSO) der CIA in Deutschland unter dem Eindruck des von den USA wesentlich mitinitiierten Kalten Krieges die ersten Stay-Behind-Programme. Von der OSO-Zentrale in Karlsruhe aus wurden dazu die Projekte KIBITZ und VULTURE geführt, die zu diesem Zweck Agenten und die von ihnen benötigten Funkanlagen bereitstellen sollten. Diese Projekte wurden über vier Jahre lang mit sehr mäßigem Erfolg betrieben, da es nur wenig Geld und Personal dafür gab. Als KIBITZ eingestellt wurde, war es gerade einmal gelungen, drei Agenten einsatzbereit zu machen – während andererseits OSO spätestens seit Ausbruch des Korea-Krieges im Juni 1950 die Aufgabe hatte, in Mitteleuropa Vorbereitungen für die mittel- und längerfristige militärische Aufklärung im Fall eines großen Krieges zu treffen. Dieses extreme Missverhältnis trug schließlich dazu bei, zusammen mit der veränderten politischen Großwetterlage (abnehmende Kriegsgefahr, bevorstehende Souveränität der BRD), das Programm im Frühjahr 1953 zu beenden.

Einer der für KIBITZ angeworbenen Agenten war Walter Kopp (KIBITZ 15), ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier, der zwar soweit bekannt in keiner NS-Organisation gewesen war, aber zumindest ein radikaler Deutschnationalist und Rassist war. Er brachte ein eigenes Agentennetz in das Programm ein, das rund 60 Personen umfasste, dessen reale Qualität und Einsatzfähigkeit von der CIA aber nie beurteilt werden konnte, da Kopp es hartnäckig gegen den Zugriff der US-Amerikaner verteidigte. Dieses Netz bestand im wesentlichen aus früheren Wehrmachtsoffizieren, und es ist vorstellbar, dass es im Grunde gar kein Agentennetz war, sondern eine militärische Formation im Vorbereitungsstadium, die Kopp als Morgengabe für eine zukünftige Wiedererrichtung der deutschen Armee schaffen wollte, ob aus eigenem Antrieb oder auf Weisung höherer Ex-Offiziere im Hintergrund. Aufgrund der Unkontrollierbarkeit und mangelnden Sicherheit des Netzes und vor allem aufgrund von Kopp Persönlichkeit wurde der CIA-Führung in Washington das Netz nach knapp zwei Jahren unheimlich, ab Sommer 1952 ausgebremst und schließlich gegen den Widerstand der deutschen CIA-Sektion im Frühjahr 1953 aufgelöst.

Eine NS-Belastung ist bei einzelnen Mitgliedern des KIBITZ-Netzes feststellbar, und zwar bei zwei Agenten des eigentlichen US-KIBITZ-Netzes und bei zwei Agenten des KIBITZ-15-Netzes von Kopp. Es handelte sich aber eher um Sonderfälle, weit überwiegend waren die Agenten ehemalige Angehörige der Wehrmacht, meist im unteren Offiziersbereich. Ob diese an Kriegsverbrechen der Wehrmacht beteiligt gewesen waren, wurde nicht untersucht. Die vier ausdrücklich NS-Belasteten blieben, teils wegen eben dieser Vergangenheit, teils wegen mangelnder Eignung, Randfiguren im KIBITZ-Programm. Es gab aber keine grundsätzliche politische Entscheidung gegen die Verwendung von (Ex-)Nazis, sondern es wurde auf pragmatischer Ebene entschieden, ob eine Person mehr Nutzen oder mehr Schaden für das Projekt brachte. Antikommunismus war aus Sicht der CIA ebenso ein Pluspunkt für Agenten wie „Erfahrung im Partisanenkampf”, was selbstverständlich Kriegsverbrechen einschließen konnte.

1945: VULTURE – Eine Ouvertüre mit polnischen Agenten für London?

Die Geschichte der us-amerikanischen Stay-Behind-Programme in Deutschland begann möglicherweise schon im Mai 1945, und zwar kurioserweise mit einem Netz polnischer Agenten, die aus dem mitteleuropäischen Kriegsgebiet an die Zentrale des OSS1 in London berichteten. Der Zusammenhang ist nicht ganz sicher, weil für die Zeit zwischen Mai 1945 und den ersten dokumentierten Fortschrittsberichten des hier behandelten KIBITZ-Projekts vier Jahre lagen und der Begriff „Vulture” durchaus für verschiedene Projekte benutzt worden sein könnte.2 Die prinzipielle Ähnlichkeit der Projekte von 1945 und 1949 legt aber die Vermutung nahe, dass es sich um ein und dasselbe handeln könnte, das im Laufe der Jahre seinen Charakter änderte.

Ende Mai 1945 schlug der Leiter der Polish Section des OSS in London, Joseph Dasher, dem OSS-Chef William „Wild Bill” Donovan das Projekt VULTURE vor. Er wollte damit ein Netz von 32 Agenten der Polish Section des OSS über das Kriegsende hinaus retten, die in der Vergangenheit seinem Bericht zufolge gute Arbeit geleistet hatten und im Sommer 1945 nach Polen zurückkehren würden, wenn es nicht eine neue Aufgabe der US-Amerikaner für sie gab. Die meisten dieser Agenten, nämlich 17, waren für Deutschland vorgesehen, die anderen für Frankreich und die Tschechoslowakei. In Deutschland waren als Subzentralen Bremen/Bremerhaven und Bayreuth vorgesehen, was einen Hinweis auf die regionale Verteilung der Agenten sein dürfte. Als Budget waren $ 50.000 vorgesehen. Was daraus wurde, ist den Dokumenten nicht zu entnehmen.

Ende 1948, Beginn des Stay-Behind-Programms KIBITZ

Seit Ende 1947 war in Deutschland der neu gegründete Geheimdienst der USA aktiv, das Office of Special Operations (OSO), die Keimzelle der CIA. Das OSO war eine klassische Spionage-Organisation, die Informationen beschaffte und Agenten führte. Als im Dezember 1947 der National Security Council der USA als neuen Arbeitsbereich der CIA die „covert psychological operations” erfand, weigerte sich OSO, in dieses unklare Geschäft einzusteigen, weshalb eine eigene Abteilung der CIA dafür gegründet wurde (das Office for Policy Coordination, OPC). Die Zentrale des OSO in Deutschland befand sich 1948 in Karlsruhe und nannte sich Karlsruhe Operation Base (KOB), ihre unmittelbaren Vorgesetzten saßen in Washington im Foreign Branch M (1950 umbenannt in Foreign Division M, ab 1952 dann Eastern Europe Division).

Ende des Jahres 1948 wurden bei KOB zwei Projekte miteinander verbunden: Im Programm VULTURE sollten Funkanlagen in Deutschland vergraben werden, die im Fall einer sowjetischen Invasion von Agenten benutzt werden konnten. Und das neue Programm KIBITZ hatte die Aufgabe, solche Stay-Behind-Agenten zu rekrutieren. Das Programm war eine rein nachrichtendienstliche Operation, das heißt, es gab keine Sabotage- oder Partisanen-Pläne wie bei den Projekten von OPC. Die Nachrichten der Agenten sollten auch dazu dienen, die Informationen, die parallel von den Spionen der Organisation Gehlen gesammelt würden, auf ihre Glaubwürdigkeit zu überprüfen.

Weiterlesen im Gesamttext

1 Das Office of Strategic Services (OSS) war als US-Geheimdienst im Zweiten Weltkrieg die Vorläuferorganisation der CIA.

2 So gab es etwa 1944/45 auch eine Informationsquelle des OSS im Mittelmeerraum mit der Bezeichnung „Vulture”, und 1954 wurde eine geplante US-Militärintervention im Vietnamkrieg „Operation Vulture” genannt.