NSU: Zschäpes Aussage – Der Berg kreißte und gebar eine Diddlmaus

Kurz nach der Einlassung von Beate Zschäpe im NSU-Prozess am 09.12.2015 lassen sich ein paar kurze Takte zur ersten Einschätzung sagen. Der gesamte Text der Einlassung ist übrigens unter anderem hier nachzulesen.

Zur juristischen Bewertung der Aussage und den möglichen Folgen für den Prozess soll hier nicht groß spekuliert werden, da gibt es andere, bessere Quellen. Doch die offensichtliche und bereits vielfach konstatierte Schwäche der Aussage lässt sich auch in Hinblick auf die Beurteilung des NSU-Komplexes insgesamt interpretieren.

Wer an große Verschwörungen glaubt, wird sich selbstverständlich nicht irritieren lassen, sondern den Auftritt von Zschäpe wahlweise als inszeniert, erpresst oder Zeichen für ihre Rolle als unwissende Marionette bewerten. Die einzige Medizin, die gegen die Krankheit der Verschwöreritis hilft, ist die (aufgedeckte) Verschwörung selbst. Deshalb wird es – nach meiner Einschätzung – in dieser Hinsicht niemals eine Auflösung der zahllosen Spekulationen geben.

Aber davon einmal abgesehen: Wie passt die Aussage in das Gesamtbild NSU? Zuerst einmal ist zu fragen, warum die Aussage so und nicht anders erfolgte. Die Lage der Verteidigung ist offensichtlich verzweifelt, sonst würde sie nicht auf eine solch durchsichtige „Ich-war’s-nicht”-Haltung zurückgreifen. So etwas kann nur funktionieren, wenn das Gericht keine Lust mehr zum weitermachen hat und den Prozess um jeden Preis schnell beenden will (was nicht ersichtlich ist), oder wenn es zu der Ansicht kommt, dass diese Geschichte so schlecht sei, dass sie nicht ausgedacht sein könne. Denn ein erfahrener Verteidiger wie Borchert weiß, dass alles, was am 9. Dezember verlesen wurde, vom Gericht ohne Mühe als „Schutzbehauptung” vom Tisch gewischt werden kann. Um dem entgegen zu wirken, ist es in solchen Situationen üblich, Trümpfe zu spielen, d. h. dem Gericht etwas anzubieten: Unschuldsbeweise, Selbstbelastungen an anderen Stelle, exklusives Täterwissen, Belastung anderer Personen. Die Aussage enthält praktisch nichts dergleichen. Auch wenn zu erwarten und zu hoffen ist, dass das Gericht jetzt nachbohren wird, bleibt doch festzuhalten, dass es scheinbar solche Trümpfe nicht gibt.

Zschäpe belastet außer Tino Brandt (ein leichtes Opfer) niemand anderen konkret. Ob sie dies aus Angst vor Rache nicht tut, aus politischer oder persönlicher Loyalität oder um keine Gegenbelastungen zu provozieren, sie hat damit in jedem Fall erst einmal den Mitangeklagten genützt und Wohlleben Rückendeckung für seine Aussage gegeben, die vermutlich darauf hinauslaufen wird, er lehne Gewalt ab, sei ein „überzeugter Nationalist” und habe dem Trio nur anfangs aus Freundschaft etwas geholfen. Aber alle mit dem NSU verbundenen Personen, nicht nur Wohlleben und André Eminger, müssen sich fragen, wie zuverlässig Zschäpes Dichthalten ist, nachdem sie trotz der langjährigen intensiven und dramatischen Bindung an die beiden Uwes diese nun postum opfert um sich zu retten. Wenn der vorsitzende Richter sie unter Druck setzt und ihr klar macht, dass das bisher Gesagte nicht ausreicht, könnte eine Kettenreaktion von Belastungen in Gang gesetzt werden. Wenn die Verteidiger von Zschäpe nicht vollkommen verblödet sind – zugegeben, manche vermuten das schon –, so werden sie diese Möglichkeit einkalkuliert haben.

Lüge so viel wie nötig, so wenig wie möglich!

Wenn die Verteidigung das Spiel nicht nach den eigenen Regeln durchspielen kann – und das ist absehbar –, hat sie böse Überraschungen zu befürchten. Jetzt noch bei wesentlichen Lügen erwischt zu werden, wäre das Ende jeder Verteidigungschance. Wenn dieser Gedanke konsequent weitergedacht wird, heißt es, dass Zschäpe einigermaßen genau wissen muss, wo genau sie beim Lügen erwischt werden könnte. Also zum Beispiel: Kann sie ausschließen, dass plötzlich ein Zeuge auftritt, der aussagt, dass der Mord in Heilbronn nicht lediglich der Waffen wegen begangen wurde? Immerhin passt dieses angebliche Wissen über das Motiv ja nicht so gut zu Zschäpes ansonsten behaupteten Unwissenheit über die Beweggründe der beiden Uwes. Je mehr komplexe Organisations- und Personenstrukturen sie tatsächlich verheimlichen muss, um so gefährlicher ist der jetzt eingeschlagene „Flug auf Sicht”.

Diese Überlegungen führen zu der Vermutung, dass die alte Regel „bleibe so nahe an der Wahrheit wie möglich” auch hier befolgt worden sein könnte. Abgesehen von den diversen speziellen juristischen Formulierungen, die die Verteidiger Zschäpe offenkundig hineindiktiert haben – bis hin zu der schlappen „Entschuldigung” am Ende – werden sie ihr ziemlich sicher geraten haben, von der ihr bekannten Realität ausgehend eine Geschichte zu bauen, aus der man dann gemeinsam ihren eigenen Schuldanteil herauszukratzen versucht. Dazu wäre im Extremfall nicht viel Manipulation nötig, teilweise würde genügen, ihr Wissen von vor der Tat in eines danach umzubiegen. Vermutlich kann sie auch darauf zählen, dass Eminger im Zweifelsfall bestätigt, sie sei eher passiv gewesen, weil er daran eine eigene Entlastung als Freund und Helfer in seelischer Not anknüpfen könnte.

Opferhaltung…

Ihre angeblich passive Rolle im NSU die ihr jetzt niemand glaubt (zumal jeder ertappte Eierdieb stets behauptet, nur Mitläufer gewesen zu sein), hat immerhin drei Argumente für sich: Zum einen ein rein subjektives, nämlich die Einsicht, dass die Dämonisierung von Zschäpe als „femme fatale” des NSU nicht unwesentlich dem Skandalisierungsdrang der Medien zuzuschreiben ist, die in den letzten Wochen einen ziemlich schäbigen Zirkus darum veranstaltet haben. Wer diese ganze Hysterie streicht, wird außer Zeugenaussagen über auch mal dominantes Verhalten in der Clique, Gewaltneigung und Zahlungsverhalten im Urlaub nicht viele Argumente übrig haben. Zum zweiten gibt es die Aussagen des Mitangeklagten Schultze, wonach bei einem Treffen mit den beiden Uwes diese einen Bombenanschlag in Nürnberg scheinbar vor Zschäpe verheimlichten. Und drittens gibt es bisher keine relevanten Indizien für eine aktive Beteiligung Zschäpes an Taten des NSU, weder an den Mordanschlägen noch an Raubüberfällen. Und schließlich erkenne ich in dem durchweg selbstmitleidigen Tonfall ihrer Erklärung auch erschreckend genau die eher armselige Person wieder, die ich vor zwei Jahren in meinem Text „Eine ordentliche Deutsche” beschrieben habe.

Zschäpe hat, so glaube ich behaupten zu können, nicht das Format, die Strategie einer organisierten Gruppe über einen längeren Zeitraum umzusetzen, auch das wird durch diese Einlassung bestätigt. Sie steht unter einem starken individuellen Druck der Rechtfertigung – wer jemals in der Situation war, öffentlichen Beschuldigungen ausgesetzt zu sein, die zumindest in Teilen nicht zutreffen, weiß was ich meine. Dieser psychische Druck, etwas „richtigzustellen”, kann zu den seltsamsten Äußerungen führen, davon wissen VerteidigerInnen ein Lied zu singen, die deshalb ihre MandantInnen oft nicht gerne selbst das Wort ergreifen lassen. Diese Richtigstellungen können durchaus juristisch schädlich sein, wirken aber erleichternd für die beschuldigte Person. Und Zschäpe war sichtbar erleichtert, als ihre Aussage verlesen wurde. Auch das spricht dafür, dass diese Aussage in groben Zügen an ihre subjektive Wahrheit angelehnt ist.

…aber keine Märtyrerin

Was Zschäpe durch die Abwendung von der Loyalität mit den Uwes deutlich demonstriert, ist, dass sie keine rechtsradikale Märtyrerin abgeben möchte, jedenfalls heute nicht mehr, was immer sie sich im November 2011 vorgestellt haben mag. Wenn sie eine organisierte Struktur schützen wollte, hätte sie weiter schweigen müssen. Wenn sie andere, ihr bekannte Personen schützt, dann wohl kaum aus politischer Loyalität, sondern eher aus Erwägungen des persönlichen Nutzens. Wie oben erwähnt, könnte sich das unter dem Druck der Befragung schnell ändern (das Beharren der Anwälte auf schriftlichen Fragen entspringt vermutlich auch der Angst vor Dammbrüchen bei einem Frage-und-Antwort-Spiel), jedenfalls aber spricht es meines Erachtens dafür, dass Zschäpe ihren Kopf nicht für irgendein organisiertes Neonazi-Netzwerk im Hintergrund hinhalten möchte. Durchaus vorstellbar erscheint mir, dass sie Teile dieses Netzwerkes wirklich nicht kannte oder auch gar nicht kennen wollte. Doch auch meine schon oft geäußerte Vermutung, dass ein solches Netzwerk viel größer fantasiert wurde als es wirklich ist oder war, würde dazu passen. Die „Banalität des Bösen” gibt es im großen wie im kleinen Maßstab, und wenn sich herausstellen sollte, dass die Vorgehensweise des NSU bei seinen Morden tatsächlich „nur” dem rassistischen Handlungstrieb soziopathischer, impulsgesteuerter Nazi-Männer folgte und nicht einem größer angelegten Plan, so würde das die Morde nicht weniger schlimm machen.

Die Aussage von Zschäpe beweist oder widerlegt keine der Theorien zum NSU. Es ist auch verfrüht, wenn einzelne Medien jetzt behaupten, bestimmte Aspekte seien durch die Aussage nunmehr „aufgeklärt” (etwa, wer die Bombe Ende 2000 in Köln legte). Aber sie macht meines Erachtens jene Erklärungen wahrscheinlicher, wonach sich eine kleine, bösartige Gruppe dank teils wissenden, teils halbwissenden Unterstützern und systematisch unfähigen Verfolgern jahrelang relativ planlos durchwurschteln konnte.