Vom „F-Net” über „SATURN” bis zu „NASHORN” – Die Stay-Behind-Geschichte des BND

Zusammenfassung

Die Geschichte der Stay-Behind-Organisation, die von der Organisation Gehlen (OG) unter dem Namen „F-Net” gegründet wurde, unterscheidet sich von den anderen hier behandelten Programmen in einigen wesentlichen Punkten. Erstens war es eine Operation, die bereits existierte, als die CIA erstmals damit in Berührung kam. Und zweitens war es die einzige der ursprünglichen Stay-Behind-Operationen, die einigermaßen erfolgreich war und die auch nach dem Ende der anderen westdeutschen Stay-Behind-Programme der CIA 1953 weitergeführt wurde.

Trotzdem – oder gerade deshalb – sind dazu nur verhältnismäßig wenige Dokumente von der CIA veröffentlicht worden. Diesen zufolge war das Programm bis etwa 1960 ein klassisches Stay-Behind-Projekt, das heißt es umfasste Agenten und Funker zur Nachrichtenbeschaffung und -übermittlung, vergrabene Depots zu ihrer Versorgung, sowie Teams zur Schleusung von Material und Personen aus dem besetzten Gebiet hinaus und in es hinein („Drop Zones”, „Escape and Evasion”). 1960/61 wurde es aber um einen paramilitärischen Arm erweitert.

Eine Bewertung der tatsächlichen Qualität dieser Stay-Behind-Organisation ist schwierig, gerade weil sie im hier betrachteten Zeitraum weder wegen offensichtlicher Erfolglosigkeit beendet wurde noch sonstwie platzte. Es gab also keine kritischen Untersuchungsberichte dazu. Einige wenige Details erlauben leise Zweifel daran, ob die rein quantitativ solide klingenden Berichte ohne weiteres mit der Wirklichkeit gleichzusetzen sind:

Die CIA beklagte schon 1953, das Stay-Behind-Programm werde als Abstellgleis für „Kriegsmüde, Pfuscher und Ehemalige” verwendet, und 1957 stellte ein CIA-Bericht fest, die Planziele seien zu weniger als 50 % erreicht worden.

Der – besonders brisante – Aufbau von Sabotageteams begann erst 1961, während zumindest nach offizieller Darstellung diese Abteilung schon ab Anfang der 1970er Jahre nach und nach abgebaut wurde1, die „Hochzeit” dieses Programms währte demnach nur einige Jahre.

Der ehemalige BND-Mitarbeiter Juretzko, der die letzten Tage der BND-Stay-Behind-Operation „Geheimer Widerstand” Ende der 1980er Jahre begleitete, schrieb, dass einzelne Agentenführer des BND die wertvollen Funkgeräte lieber bei sich zuhause aufbewahrt hatten als sie an ihre Agenten auszuhändigen2. Derartige Schlampereien hätten im Ernstfall selbstverständlich schnell zur Funktionsunfähigkeit des Netzes führen können.

Warum der BND ausgerechnet um 1960 herum begann, eine paramilitärische Abteilung innerhalb von Stay Behind aufzubauen, wäre noch zu erforschen. Ein denkbarer Grund für die Verschiebung des Arbeitsschwerpunkts könnte sein, dass die in dieser Zeit deutlich offensiver gewordene Kriegsstrategie der NATO vorsah, den feindlichen Vormarsch schon relativ kurz hinter der deutsch-deutschen Grenze zum Halten zu bringen, so dass die Installierung von Agenten in einem von der Roten Armee besetzten Westdeutschland eher für ein Worst-Case-Szenario erforderlich schien, während der unmittelbare militärische Widerstand an der Ostgrenze an Bedeutung gewann.

Es ist vorstellbar, dass die Arbeit im Bereich Sabotage und Guerillakampf gerade im militaristischen Milieu des BND attraktiver war als die anderen Tätigkeiten der Stay-Behind-Abteilung. Die Agentenwerbung könnte daher erfolgreicher und das Wachstum der Abteilung des „Geheimen Widerstands” schneller gewesen sein als das der anderen Abteilungen. Ob das Ergebnis wirklich Kommandogruppen im Stil von Spezialeinsatzkommandos waren, wie es die BND-interne Legendenbildung offenbar will, würde ich skeptisch beurteilen. Dieses Kapitel ist aber bei weitem nicht abgeschlossen.

Eine kurze Vorgeschichte: Die Gründung der Org. Gehlen…

Die Gründungsphase der Organisation Gehlen (OG)3 soll hier nur kurz angeschnitten werden, um zu verdeutlichen, unter welchen Rahmenbedingungen die folgende Entwicklung stattfand.

1946 hatte die US Army begonnen, bei den festgesetzten ehemaligen Mitgliedern des Generalstabs der Wehrmacht und angeschlossener Organisationen, wie etwa des Nachrichtendienstes „Abwehr”, Personal zu rekrutieren, das nicht nur altes Kriegs-Wissen über die Sowjetunion abliefern, sondern auch aktuellen Nachrichtendienst betreiben sollte. Im Laufe des Jahres setzte sich dabei Reinhard Gehlen als Führungsfigur durch (so etwa gegen den ehemaligen Abwehr-Offizier Hermann Baun). Ob die OG eine eigenständige Organisation, ein Gruppe von Zuarbeitern für die US-Dienste oder eine zukünftige Widerstandsgruppe werden würde, war alles andere als ausgemacht.

Vor allem im Raum München entstand schnell ein regelrechter Markt für Agenten, die oft zwischen den verschiedenen Diensten SSU (Strategic Services Unit, direkter Vorläufer der CIA), CIC (Counter Intelligence Corps der US Army) und OG wechselten. Die us-amerikanischen Geheimdienstler der SSU waren weder davon noch von der Tatsache, dass etliche NS-Belastete auf diesem Weg „for security reasons” der Entnazifizierung entgingen, sonderlich begeistert. Es sah so aus, als werde unter Gehlen praktisch die alte Abwehr wiederhergestellt bzw. ein Sammelbecken für ehemalige Generalstabsoffiziere geschaffen, was mit Unbehagen betrachtet wurde – und auch durchaus zutreffend war: ein Bericht von 1951 stellte fest, dass in der OG über 100 frühere Mitglieder des deutschen Generalstabs beschäftigt waren.

Zudem wurde befürchtet, die neue Organisation könne bereits unterwandert sein von sowjetischen Spionen. Sicherheitsvorkehrungen wurden in der OG nachlässig gehandhabt, eine Untersuchung beschrieb die OG als Projekt „similar to wartime operations, i. e. massive in shape, loosely controlled and supplied rather than directed.” Auch von Gehlen waren die US-Amerikaner nicht durchweg überzeugt. So wurde gegen ihn angeführt, er habe noch im März 1945 mit Walter Schellenberg über einen Nachkriegs-Widerstand unter Führung von Heinrich Himmler gesprochen. Bis in das Jahr 1951 gab es Überlegungen in Washington, Gehlen durch eine zuverlässigere Führungsperson abzulösen.

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1 Bundestags-Drucksache BT 12/890, Antwort der Bundesregierung auf Kleine Anfrage Jelpke zu „Gladio”. Die sehr allgemeinen und kurzen Ausführungen der Bundesregierungen sind bislang zumindest nicht widerlegt worden.

2 Norbert Juretzko, „Bedingt Dienstbereit”, Berlin 2004.

3 Die US-Cryptonyme für die OG wurden in den ersten Jahren mehrfach geändert. Unter CIC-Kontrolle hieß die OG RUSTY, dann bei der CIA 1949/50 OFFSPRING, 1950/51 ODEUM, 1951-56 ZIPPER, spätere Cryptonyme waren UPSWING, UPHILL, CATIDE, CATRIBE, CATUSK u. a. Zum besseren Verständnis wird hier durchgehend OG und gelegentlich ZIPPER verwendet.

4 CIA-Dokument CIA AND THE ORIGINS OF THE BND, 1949-56 VOL. 1_0003.pdf