Oktoberfest-Attentat 1980 Teil 1: Wehrsportgruppe Hoffmann – wie schwer wiegt der Verdacht?

Der Bombenanschlag auf das Münchener Oktoberfest vom 26. September 1980 ist auch nach dreißig Jahren noch immer eine offene Wunde in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Ich habe in den vergangenen Monaten die Ermittlungen – sowohl die offiziel­len wie die kritischen – anhand der mir zugänglichen Informationen nach­gezeichnet. Meine Revision der Ermittlungen insgesamt ist noch nicht veröffent­lichungsreif. Ich möchte an dieser Stelle aber allen, die sich mit dem Thema beschäftigen, zu kriti­scher Dis­tanz bei der Lektüre sämtlicher Quellen raten, da auch in ver­meintlich seriö­sen und „reputablen“ Veröffentlichungen teilweise gravierende Fehler ent­halten sind.

Einen Themenkomplex, der die öffentliche Beschäftigung mit dem Münche­ner Attentat dominiert, möchte ich hier unabhängig von den Gesamtermittlungen behandeln: Über die Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG) und die damalige Neonazi-Szene gibt es viel Material, das es erlaubt, den Hauptverdacht einer rechts­radikalen Urheberschaft des Münchener Attentats zu diskutieren. Ich will hier gleich vorweg­nehmen, dass ich am Ende zu dem Ergebnis komme, eine Täter­schaft der WSG als Gruppe für unwahrscheinlich zu halten.

Der gesamte Text meiner Untersuchung ist 60 Seiten lang und war hier bis Ende 2013 als PDF verfügbar; inzwischen (Januar 2014) steht er als Teil meiner Gesamtuntersuchung zum Münchener Anschlag zur Verfügung, weshalb hier jetzt nur noch eine Übersicht über die alte Version folgt.

Darin werden Neo­nazis als Täter keineswegs ausgeschlossen. Doch für die WSG Hoffmann meine ich einige entlastende Argumente vor­bringen zu müssen. Mir ist bewusst, dass das gerade in Kreisen der Linken teils sach­lichen, teils auch emotio­nalen Wider­spruch auslösen kann. Solange dieser dem Ziel einer Aufklärung des schrecklichen Attentats von 1980 nützt, sei er willkommen!

Ich dokumentiere hier nur einen Teil der Einleitung, die abschließende Zusammenfassung und das Inhaltsverzeichnis.

Inhaltsverzeichnis:

  • Der Verdacht gegen die Wehrsportgruppe Hoffmann
  • Wer oder was war die WSG Hoffmann?
  • Wie viele Mitglieder hatte die WSG Hoffmann?
  • War Gundolf Köhler Mitglied der WSG Hoffmann?
  • Ist die WSG Hoffmann mit dem Münchener Anschlag in Verbindung zu bringen?
  • War die WSG Hoffmann war zu der Tat fähig?
  • Hatte die WSG Hoffmann ein Motiv für den Anschlag?
  • Axel Heinzmann und der Hochschulring Tübinger Studenten (HTS)
  • Der Fahrzeug-Konvoi der ehemaligen WSG am Tattag
  • Die Oberservation des Konvois durch den VS
  • Tatbekenntnis von WSG-Mitglied Behle
  • Tatbekenntnis von Stefan Wagner
  • Wurde der Anschlag in Italien vorbereitet?
  • Zusammenfassung und Fazit

 

Zusammenfassung und Fazit

Die Diskussion der Indizien für eine Tatbeteiligung der WSG Hoffmann ist, wie gesehen, nur teil­weise objektiv führbar. Ein erheblicher Anteil besteht aus Ein­schätzungen und Ver­mutungen und wird damit letztlich zur Glaubensfrage. Die acht zuletzt besprochenen Aspekte sehe ich zusammengenommen jedenfalls als nicht überzeugend genug an, um die WSG Hoffmann öffentlich der Mittäterschaft zu beschuldigen.

  • Die WSG Hoffmann war zur technischen Vorbereitung der Tat zwar fähig. Doch das traf formal auf viele Gruppen und Einzelpersonen der rechten Szene und außerhalb davon zu. Ob die Gruppe personell und mental geeignet für den Anschlag war, scheint mir hingegen eher mit Zweifeln behaftet.
  • Mögliche Motive für den Münchener Anschlag lassen sich kontrovers disku­tier­en. Für Hoffmann oder auch einzelne WSG-Mitglieder lassen sich hypothetisch Moti­ve ver­mu­ten, es gibt aber ebenso Argumente dagegen. Eine überzeugende Her­leit­ung über das Argument „cui bono“ (wem nutzt es) ist meines Erachtens nicht gegeben.
  • Axel Heinzmann (und der HTS) hatten zwar Kontakte sowohl zu Hoffmann wie auch zu Köhler, doch damit lässt sich nur untermauern, was ohne­hin unstrittig ist: Köhlers Neigung zur rechtsradikalen Gesinnung und seine zeitweilige Nähe zur WSG.
  • Der Fahrzeug-Konvoi der ehemaligen WSG am 26./27.9.1980 lässt sich nicht plausibel mit dem Attentat in München in Verbindung bringen.
  • Die Observation des WSG-Konvois durch drei Landesämter für Verfassungs­schutz am 26./27.9.1980 lässt sich plausibel erklären; ein Bezug zum Münche­ner Anschlag lässt sich jenseits der gefühlsmäßig auffälligen zeitlichen Parallelität nicht erkennen.
  • Das Tatbekenntnis des WSG-Mitgliedes Behle im Oktober 1980 in Damaskus ist zweifelhaft, die Einstufung als „alkoholbedingte Aufschneiderei“ ist nicht von der Hand zu weisen.
  • Das Tatbekenntnis des Neonazis und früheren WSGlers Wagner kurz vor sein­em Selbstmord 1982 ist unterschiedlich interpretierbar, aber zumindest weitere Nach­forschungen wert.
  • Die Behauptung, das Münchener Attentat sei unter Beteiligung von Hoffmann im Som­mer 1980 in Italien von international tätigen rechten Terroristen ge­plant worden, ist als Räuberpistole bzw. Desinformation anzusehen.

Die direkten Indizien für eine Tatbeteiligung der WSG Hoffmann sind mithin schwach, viel mehr als das Tatbekenntnis von Stefan Wagner 1982 bleibt meines Erachtens nicht übrig. Und bei Wagner ist, wie dargelegt, in Frage zu stellen, ob er – wenn er denn Mittäter war – dies überhaupt als Mitglied einer eventuell noch bestehenden WSG-Hoffmann-Stuktur war.
Da wie oben gezeigt auch über Gundolf Köhler keine direkte Verbindung zwischen dem Anschlag und der WSG Hoffmann zu belegen ist, komme ich zu dem Schluss, dass der Verdacht auf eine Tatbeteiligung der WSG Hoffmann am Mün­che­ner Attentat auf äußerst schwachen Füßen steht.

Das kann kein „Freispruch“ von jedem Verdacht sein, weil dazu zu wenig Informationen vorliegen (wie etwa die Akten zum Ermitt­lungskomplex „Spur WSG Hoffmann“ inklusive der Alibi-Über­prüfungen) und es keine objektiven Unschuldsbelege gibt – und wohl auch nicht geben kann, solange die Täter nicht gefasst oder wenigstens bekannt sind. Es besagt ledig­lich, dass die vorliegenden Indizien schwach sind. Es mögen in Zu­kunft an­dere, stärkere bekannt werden. Solange das aber nicht der Fall ist, ist es meiner Meinung nach unredlich, die WSG Hoffmann als quasi der Tat überführt zu behan­deln, wie dies in der linken und antifaschistischen Öffentlichkeit üblich ist.

Der omnipräsente Verdacht gegen die WSG Hoffmann hat möglicherweise in der Ver­gangenheit eher dazu beigetragen, den Blick auf weitere Deutungs­möglich­keiten des Attentats zu behindern. Gerade die Erfahrung der jüngsten Vergangen­heit, die Aufdeckung der rechten NSU-Terroranschläge im Jahr 2011, hat gelehrt, dass falsche Prämissen bei den Ermittlungen zu einem folgenschweren Tunnelblick führen können.
Schwerwiegende Attentate werden erfahrungsgemäß meist von kleinen, abge­schotteten Gruppen verübt. Derartige rechtsradikale Zellen gab es auch in der Zeit 1977-1982, allerdings nicht bei der WSG Hoffmann, sondern im radikaleren neo­nazistischen Milieu, etwa im Umfeld der VSBD. Es wäre dann immer noch zu er­klären, welche Verbindung von Gundolf Köhler zu einer solchen Gruppe bestan­den haben sollte, da es dazu keine bekannten Hinweise gibt. Doch es könnte ein Ansatz für ein nachträgliches Profiling sein, bei dem nicht zuerst der Angeklagte feststeht und dann die Beweise gesucht werden, sondern umgekehrt.